Ein Interview mit der Maßnahme M5 Fort- und Weiterbildung

Am 12. Dezember 2016 führte Janna Müller ein Interview mit Saskia Opalinski und Waltraud Ziegler über ihre Arbeit in der Maßnahme M5 Fort- und Weiterbildung von FACE.

Janna Müller (M): Warum denken Sie, ist die Fort- und Weiterbildung von Lehrerinnen und Lehrern so wichtig?

Waltraud Ziegler (Z): Lehrerin oder Lehrer zu sein ist ein äußerst anspruchsvoller Beruf und die täglichen Anforderungen sind vielfältig. Entwicklungen in den verschiedenen Wissenschaften sind rasant und gesellschaftliche Entwicklungen fordern immer wieder Neues von Lehrkräften. Und oft schneller als die entsprechenden pädagogischen Konzepte da sind.
Das heißt, die Professionalisierung der eigenen Lehrtätigkeit hört im Sinne des lebenslangen Lernens nie auf. Und darüber hinaus treffen in den Schulen unterschiedliche Wissenszugänge, Wissensstände, verschiedene Bilder über Lehrerinnen- und Lehrerprofessionalität aufeinander. Es sind ja verschiedene Generationen, die tätig sind und im Team arbeiten. Und genau dieses Zusammentreffen forschend und lernend im Dialog nutzbar zu machen, das ist nach meinem und unserem Verständnis Ziel von Fort- und Weiterbildung.
Darüber hinaus meinen wir, dass Wissenschaften einen wichtigen Input zu jeweiligem Fachunterricht liefern können. Gleichzeitig ermöglicht die Reflexion der beruflichen Praxis und eigener Handlungsmuster eine Sensibilisierung für neue Lernwege. Um dies in den Blick zu nehmen, sind Fort- und Weiterbildungskonzepte geeignet, welche die Lehrerinnen- und Lehrerpersönlichkeit unterstützen und stärken und ein Angebot so aufbereiten, dass es eine Passform zu dem gibt, was die Lehrerinnen und Lehrer brauchen.

M: Welche Akzente setzen Sie mit Ihrem Weiterqualifizierungsangebot?

Saskia Opalinski (O): Inhaltlich können das Themenbereiche sein, die den Bildungsplan ergänzen, übergreifende Fragen aufnehmen und sowohl für Gymnasiallehrkräfte interessant sind, aber auch Realschul- oder Grundschullehrkräfte ansprechen, zum Beispiel das Thema Lernkultur oder Sprachfähigkeit. Außerdem versuchen wir auch in den Fächern eine große, wenn nicht sogar die volle Bandbreite abzudecken. Zwar können wir nicht für jedes Fach explizit einzelne Fortbildungen anbieten, aber es gibt immer verbindende Themen, z.B. Nachhaltigkeit, die dann für mehrere Fächer, z.B. Wirtschaft, die naturwissenschaftlichen Fächer, Gemeinschaftskunde oder Fächerverbünde wie WZG (Welt, Zeit, Gesellschaft) oder WAG (Wirtschaft, Arbeit, Gesundheit) zugänglich sind. Und das versuchen wir schon mitzudenken, sodass sich da möglichst jede Lehrkraft unabhängig von Schulform, Schulstufe oder bestimmten Fächerkombinationen, wiederfinden kann, um ein Angebot zu finden, das zu ihrem Bedarf passt.
Bereits realisiert haben wir eine Veranstaltung, bei der es um Lernkultur im Zusammenhang mit Beratung ging, konkret um die beratende Begleitung von Studierenden, die ihr Praktikum an den Schulen der teilnehmenden Lehrkräfte absolvieren. Bei solchen Veranstaltungen steht dann natürlich stärker der beratende Aspekt im Vordergrund. Fachwissenschaftliche Fragestellung sind eher übergeordnet und werden nicht explizit thematisiert. Als Ergänzung dazu ist derzeit eine Veranstaltung zu „Beratung als Tätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern“ in Vorbereitung.

M: Was mich auch interessieren würde, sind besondere Herausforderungen bei Ihrem Vorhaben. Welche besonderen Herausforderungen gilt es denn zu bewältigen?

Z: Eine Herausforderung liegt auf der Hand: Fort- und Weiterbildung für baden-württembergische Lehrkräfte ist nicht verpflichtend, obwohl Lehrkräfte kontinuierlich Fort- und Weiterbildung wahrnehmen. Wenn wir zusätzliche Angebote ausbringen, müssen wir uns neben den bestehenden Angeboten etablieren und mit den anderen Anbietern kooperieren können.
Fort- und Weiterbildung kostet Geld und Lehrkräfte müssten für die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen eigentlich zahlen, vor allem wenn die Angebote modularisiert sind und den Erwerb eines Zertifikats einschließen. Neben den Kosten stellt sich eine zweite Frage: Wo können die so qualifizierten Lehrkräfte ihr neu erworbenes Wissen einsetzen? Welchen ‚Profit‘ bringt Fort- und Weiterbildung für den konkreten Beruf?

O: Ich glaube auch, das ist eine der größten Herausforderungen. Realität ist, dass die Aufstiegschancen in den Schulen äußerst begrenzt und oft mit höherer Arbeitsbelastung und geringem Zusatzverdienst verbunden sind. Schulleitungsstellen können oftmals nicht oder nur schwer besetzt werden, weil es keine Bewerberinnen und Bewerber gibt, die diese Stellen übernehmen möchten.
Bezogen auf die wissenschaftliche Fort- und Weiterbildung stellt sich deshalb die Frage, ob die Teilnahme für Lehrkräfte attraktiv ist, wenn kein Teilnahmeanreiz über eine zusätzliche Gratifikation bei erfolgreicher Teilnahme gegeben ist. In unseren Augen muss deshalb das jeweilige Angebot selbst diesen Teilnahmeanreiz darstellen, indem es für die Lehrkräfte und ihre Berufstätigkeit unmittelbar zugänglich ist oder weil ein gerade aktuelles Thema bearbeitet wird.

M: Gibt es eine weitere große Herausforderung?

O: Ja die gibt es. Wir versuchen jeweils herauszufinden, was der aktuelle Bedarf an Fort- und Weiterbildung für Lehrerinnen und Lehrer ist. Und weniger aus unserer Wissenschaftsperspektive heraus zu sagen: „Wir glauben, der Bedarf ist …“, sondern sensibel dafür zu sein, wo konkret ein Bedarf geäußert wird.

M: Und wie gehen Sie dabei vor?

O: Wir schauen gezielt, welche Entwicklungen es im Bildungsbereich aktuell gibt, wie z.B. die seit dem laufenden Schuljahr 2016/2017 neuen Bildungspläne. Daraus kann der Bedarf bei den Lehrkräften entstehen, entsprechende unterstützende Fort- und Weiterbildungsangebote wahrzunehmen, weil beispielsweise Fächer neu zusammengelegt wurden oder ehemals zusammengelegte Fächer wieder getrennt wurden. Da müssen sich die Lehrkräfte wieder neu Gedanken machen, wie diese Fächer bzw. Fächerkombinationen adäquat unterrichtet werden können. Einen anderen Bedarf haben die Gemeinschaftsschulen generiert, und zwar durch die veränderte Art der Unterrichtsgestaltung.

Z: Um den Bedarf an Fort- und Weiterbildung unmittelbar zu erfassen, nutzen wir auch Kontakte, die es schon innerhalb der Pädagogischen Hochschule, der Universität und zwischen Pädagogischer Hochschule und einzelnen Schulen gibt. Bedarf wird deutlich in der engen Kooperation mit den Hochschulpartnerschulen des FACE Praxiskollegs (M2); wenn Studierende mit Forschungsvorhaben in Schulen sind, werden möglicherweise Fragen sichtbar, die einen Bedarf für Fort- und Weiterbildung anzeigen. Wir nehmen diesen Bedarf auf und versuchen ein entsprechendes Angebot genau dafür zu entwickeln und umzusetzen.

O: Genau. Und ich glaube, es ist schon auch die Idee, manchmal unabhängig von dem geäußerten oder empfundenen Bedarf auch zu sagen, wir probieren mal etwas aus. Ein Angebot, das vielleicht völlig neu ist, dass man noch gar nicht kennt, das einen eigenen Bedarf generiert, weil die Lehrkräfte es interessant und anregend finden. Ein solches Angebot kann dann als niedrigschwelliger Zugang zur modularisierten wissenschaftlichen Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte dienen.

M: Was wäre denn Ihr beider Wunsch für die nächsten zwei Jahre, wenn Sie sich heute etwas wünschen könnten?

Z: Dass die Weiterqualifizierungsangebote, die jetzt im Rahmen des Projektes ausgebracht werden, genutzt werden. Die Fort- und Weiterbildungslandschaft ist insgesamt nicht sehr übersichtlich und die Angebote sind in ihrer Gesamtheit noch zu wenig transparent. Viele Lehrkräfte wünschen sich einen systematischen Überblick, der es ihnen erlaubt, Angebote gezielt für ihre Weiterentwicklung zu nutzen. Wünschenswert dafür wäre eine Vernetzung und Kooperation der einzelnen Anbieter; dafür müsste der Dialog mit den einzelnen Akteurinnen und Akteuren sowie Institutionen gesucht und noch stärker geführt werden.

O: Wissenschaftliche Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte sollte zentrale Aufgabe der Hochschulen sein, sodass dafür ausgebrachte Angebote bei den Kolleginnen und Kollegen deputatswirksam werden. Auf Seiten der Referentinnen und Referenten sollte Fort- und Weiterbildung so wenig Mehrbelastung wie möglich hervorrufen. Gleiches gilt für die Seite der Teilnehmenden: Die Lehrkräfte benötigen Strukturen, welche die Teilnahme an Fort- und Weiterbildung ermöglichen und als Teil ihrer Berufstätigkeit ausweisen, z.B. Freistellung oder Deputatsreduktion für die Zeit der Teilnahme an einem langfristig angelegten Fort- und Weiterbildungsangebot.

Z: Wünschenswert ist, dass Fort- und Weiterbildungen nicht mit dem Reflex abgelehnt wird, „ist zu wenig praxisbezogen“. Die Beschreibung „hier ist die Theorie und da ist die Praxis“ könnte allmählich der Einsicht weichen, dass beide Disziplinen unterschiedliche Zielsetzungen haben und andere Denkweisen anwenden. Wenn Wissenschaft mit ihren Ergebnissen im Fachunterricht stärkere Resonanz findet und die Schul-Praxis in den Fachwissenschaften nicht ganz vergessen geht, wäre zumindest eine offenere Grundhaltung zu wissenschaftlicher Fort- und Weiterbildung da.