„Bildung ermöglichen!“ – Prof. Dr. Tim Krieger unterzeichnet Positionspapier zur Bildungspolitik in der Coronakrise

Knapp 100 Wissenschaftler*innen fordern, den vielfältigen Auswirkungen der Mitte März verfügten Schließungen von Schulen und Kindertagesstätten mehr Beachtung zu schenken und Unterricht und frühkindliches Lernen in angepasstem Format für alle Altersgruppen zu ermöglichen. Einer von ihnen ist Prof. Dr. Tim Krieger, Inhaber der Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Vorsitzender des Gemeinsamen Studienausschusses der School of Education FACE.

Herr Krieger, was hat Sie dazu bewegt, das Positionspapier zu unterzeichnen?

Die Corona-Pandemie stellt uns alle vor große Herausforderungen und schwierige Abwägungsfragen. Wie vorsichtig müssen wir weiterhin sein, wie viel Lockerung ist bereits möglich? Diese Fragen sind im ökonomischen Bereich besonders drängend, da eine zusammenbrechende Wirtschaft ganz eigene Probleme mit sich bringt. Arbeitslosigkeit führt beispielsweise bei den Betroffenen oftmals zu langfristigen negativen Gesundheitsfolgen. Gleichzeitig ist Bildung vom Kindergarten über die Schule bis hin zu Berufsausbildung und Studium von größter Bedeutung für die Vermeidung von zukünftiger Arbeitslosigkeit. Als Ökonom, der sich auch mit Bildungsfragen beschäftigt und zudem im Rahmen der School of Education FACE angehende Wirtschaftslehrkräfte ausbildet, war es mir wichtig, mit dem Aufruf die herausragende Bedeutung des Lernens in Kindertagesstätten und Schulen auch in Zeiten des Corona-Virus zu unterstreichen. Es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Kinder.

Warum ist ein solcher Appell in der aktuellen Situation Ihrer Ansicht nach notwendig?

Der Appell ist vor allem deshalb notwendig, weil die Frage der Öffnung der Schulen und Kindergärten in der politischen Debatte eine untergeordnete Rolle spielt. Andere Bereiche des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens scheinen dringenderen Bedarf an Unterstützung zu haben; zumindest aber sind ihre Vertreterinnen und Vertreter besser darin, Forderungen an die Politik zu formulieren. Eltern fällt es dagegen schwer, sich politisch zu organisieren. Es wirkt gelegentlich, als würde von unseren Jüngsten erwartet, dass sie sich noch ein wenig gedulden – weil sie ja noch jung sind. Doch das ist falsch, denn die Lebenswege der Kinder werden bereits im Kindesalter nachhaltig geprägt. Schulen und Kindergärten können dabei viel Gutes tun und manchmal auch Schlimmes verhindern. Beim Home Schooling ist es sehr viel schwieriger, die Kinder gerade aus bildungsfernen Haushalten zu unterstützen. Daher müssen die Kinder schnellstmöglich wieder in den Schulen und Kindergärten betreut werden. Um dabei der Verbreitung des Corona-Virus keine Chance zu geben, müssen kreative und manchmal auch kostenintensive Lösungen gefunden werden. Unser Aufruf soll Kinder und Eltern unterstützen, bei den anstehenden politischen Entscheidungen deutlicher gehört zu werden.

Was erhoffen Sie sich von der Bundes- und Landesregierung?

Von zentraler Bedeutung wird es sein, dass die Politik nun sehr schnell Perspektiven aufzeigt, was sie konkret hinsichtlich der Öffnung von Schulen und Kindertagesstätten plant. Es geht weniger um ein konkretes Datum für eine vollständige Rückkehr zum Normalbetrieb als vielmehr darum, allen Beteiligten – von den Schülerinnen und Schülern über die Eltern und Lehrkräfte bis hin zu den Schulbehörden vor Ort – in Form von klaren Vorgaben aufzuzeigen, was wann unter welchen Voraussetzungen passieren soll und wird. Soll es beispielsweise halbierte Klassen mit Vormittags- und Nachmittagsunterricht geben? Oder einen wöchentlichen Wechsel der Lerngruppen? Finden die Schulferien ganz normal statt oder verkürzt man sie, um Stoff nachzuholen? Was soll passieren, wenn es eine zweite heftige Infektionswelle gibt? Abwarten und mal schauen, wie sich die Dinge entwickeln, ist keine Option. Auch wenn das Bildungssystem viele Beteiligte hat, die allesamt aufgefordert sind, innovativ und kreativ ihren Teil zur Bewältigung der schwierigen Lage beizutragen, muss doch die Politik die Richtung vorgeben.

Hintergrund: „Bildung ermöglichen“ – Ein bildungsökonomischer Aufruf

Das Positionspapier wurde initiiert und veröffentlicht von sechs Professor*innen um den Münchner Bildungsökonomen Prof. Dr. Ludger Wößmann. Schließungen von Schulen und Kindertagesstätten haben „gravierende Auswirkungen“ betonen die Wissenschaftler*innen: „Es wird nicht nur weniger neues Wissen vermittelt und der Aufbau von Fähigkeiten, auf denen weiteres Lernen fußt, verzögert. Es ist auch zu erwarten, dass der Verlust an bereits erworbenen Kompetenzen umso umfangreicher ausfällt, je länger die Bildungsunterbrechung andauert.

Doch auch die ökonomischen Folgen seien nicht zu unterschätzen, so sind „bereits bei Unterbrechungen von wenigen Wochen langfristig negative gesamtwirtschaftliche Effekte zu erwarten“. Die künftigen Beschäftigten könnten nach bisherigem Forschungsstand „Gehaltseinbußen von etwa 7–10% pro verlorenem Schuljahr erleiden – und das über das gesamte Berufsleben hinweg“.

Es bestehe dringender politischer Handlungsbedarf: „Strategien und Konzepte[…], wie frühkindliche Bildung und Schulbildung angesichts der Corona-Pandemie organisiert werden können,“ sollten transparent kommuniziert werden, um der derzeitig vorherrschenden starken Unsicherheit bei Eltern, Kindern und Jugendlichen sowie dem pädagogischen Fachpersonal entgegen zu wirken. Neben Konzepten zum Distanzlernen sowie solchen, die bei Teilöffnung der Einrichtungen Präsenz- und Fernunterricht kombinieren, bedarf es den Wissenschaftler*innen zufolge auch einer gezielten Anpassung der Bildungspläne des kommenden Schul- und Kindertagesstättenjahres.

Weitere Informationen

Webseite von Prof. Dr. Tim Krieger

Webseite zum Aufruf „Bildung ermöglichen!“

PDF-Download des Aufrufs „Bildung ermöglichen!“

Bericht des Spiegels zum Aufruf: „Jedes Jahr weniger Schule kostet sieben Prozent Gehalt“