Handlungsorientierte Wissensanwendung beim Planen von Geschichtsunterricht durch das Schreiben von Lerntagebüchern

Auch nach mehrjährigem Studium fällt es angehenden Lehrkräften oft schwer, einen konkreten Unterrichtsentwurf in ihrem Fach zu erarbeiten. Besonders wenn es darum geht, die im Studium meist nebeneinander gelehrten Wissensbereiche Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaft miteinander zu verknüpfen, sind Berufsanfänger*innen oft unsicher. Ob der Einsatz von Lerntagebüchern dazu beitragen kann diese Verbindung aktiv herzustellen, untersucht Christina Schuba in Ihrer Forschungsarbeit im Rahmen des  Promotionskollegs CURIOUS .

Worum geht es?

Ich habe jetzt zwar fünf Jahre studiert, fühle mich aber trotzdem nicht sicher darin, einen guten Unterricht zu planen.“ Diese Art von Aussage hört man oft von Absolvent*innen des Lehramtsstudiums. Häufig wird das Referendariat auch mit einem Sprung ins kalte Wasser verglichen. Wie man solchen Erfahrungen entgegenwirken kann, beforschen wir in unserem Projekt.

Eine zentrale Anforderung des Lehrkraftberufs ist, Unterricht reflektiert planen und beurteilen zu können. Dabei stellt die Anforderung der Unterrichtsplanung ein komplexes beziehungsweise „schlecht definiertes Problem“ dar („ill-structured problems“, vgl. King & Kitchener, 1994). Dies bedeutet, dass es dabei nicht den einen richtigen Lösungsweg gibt, nach dem man rezeptartig Schritt für Schritt vorgehen kann. Zudem erwerben die Lehramtsstudierenden während ihres Studiums Wissen in der Fachwissenschaft, der Fachdidaktik und der Bildungswissenschaft, welche für den Lehrkraftberuf fundamentale Wissensbereiche sind (Shulman, 1986). Außerdem bieten die drei Fachbereiche komplementäre Perspektiven auf die Unterrichtsplanung. Besonders zwischen der Fachwissenschaft und der Fachdidaktik sowie der Fachdidaktik und Bildungswissenschaft können viele Schnittstellen gefunden werden, sodass die Wissensbereiche einander ergänzend zu Rate gezogen werden können. Jedoch stehen die Lehramtsstudierenden im Studium vor der Herausforderung, Wissen aus diesen drei Bereichen zu erwerben, ohne dass diese im Studium systematisch miteinander verknüpft wurden (Darling-Hammond, 2006; Graichen, Wegner & Nückles, 2019). Durch die in den meisten Lehramtsstudiengängen verbreitete, weitgehend isolierte Vermittlung der drei Wissensbereiche wird der Entstehung trägen Wissens Vorschub geleistet (Renkl, 1996). Das bedeutet für eine Lehrkraft, dass dieses träge Wissen nur schwer abgerufen werden kann, wenn es um die Bewältigung unterrichtlicher Problemstellungen im Schulalltag geht. Es darf also nicht verwundern, dass sich Studierende nach ihrem Studium nicht konkret darauf vorbereitet fühlen, wie genau ein Unterricht zu planen ist. Die komplexe Problemstruktur von Unterricht macht eine didaktische Reflexionskompetenz notwendig, welche der angehenden Lehrkraft ermöglicht, ihre Unterrichtsentwürfe zu begründen, indem Ziele und didaktische Strategien zur Erreichung der Ziele in Form von Argumenten formuliert werden. Diese didaktische Argumentationskompetenz muss jedoch zunächst erworben werden. In einer experimentellen Studie gingen wir der Frage nach, wie man die Wissensverknüpfung sowie die didaktische Argumentationskompetenz bestmöglich fördern kann. Darin erhielten 89 angehende Geschichtslehrkräfte die Aufgabe, einen fachwissenschaftlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Text zu lesen und anschließend schriftlich im Rahmen eines Lerntagebuchs zu argumentieren, wie diese Texte für die Gestaltung einer Unterrichtsstunde genutzt werden können. Zudem sollten die Studierenden nach dem Verfassen des Lerntagebuchs als Anwendungsaufgabe einen Unterrichtsentwurf schreiben und damit konkret eine Unterrichtsstunde planen.

In unserer Studie entwickelten und untersuchten wir zwei unterschiedliche instruktionale Methoden zur Unterstützung beim Schreiben von Lerntagebüchern, welche die didaktische Argumentationskompetenz des Formulierens und Begründens von Lernzielen und didaktischen Strategien sowie dabei die individuelle Verknüpfung der Wissensbereiche bei Lehramtsstudierenden fördern sollte. Wissensverknüpfung bedeutet hier die Herstellung von Verbindungen zwischen den drei Wissensbereichen—Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaft. Dabei soll beachtet werden, an welchen Stellen sich die Wissensbereiche ergänzen. Als instruktionale Unterstützung entwickelten wir ein Tutorial, welches anhand einer Reihe von Beispielen, unter anderem auch mit konkreten Beispielen aus dem Fachbereich Geschichte, die komplexe Problemstruktur von Unterrichtsplanung deutlich macht und welche Argumente die drei Wissensbereiche für die Unterrichtsplanung liefern können (siehe Abbildung 1). Zudem werden beispielhafte Ziele und didaktische Strategien formuliert und gegeneinander abgewogen. Weiterhin entwickelten wir einen beispielhaften Lerntagebucheintrag, der eine argumentative Auseinandersetzung mithilfe von Zielformulierung und dem Abwägen didaktischer Strategien für die Studierenden veranschaulicht.

Abbildung 1. Ausschnitte aus dem Tutorial zur Unterrichtsplanung.

Warum ist es relevant?

Mit dieser Studie wollen wir der Frage nachgehen, wie angehende Lehrkräfte bei der Unterrichtsplanung unterstützt werden können und testen hierfür unterschiedliche Instruktionen, welche als Hilfestellung zur Förderung der didaktischen Argumentationskompetenz dienen. In einem nächsten Schritt können Aufgabenformate und instruktionale Unterstützung dieser Art ins Lehramtsstudium integriert werden, sodass didaktische Argumentationskompetenz schon während des Studiums erlernt werden kann. Zusätzlich muss den Lehramtsstudierenden deutlich gemacht werden, in welcher Form das Wissen aus den drei Bereichen angewendet werden kann. Wir erhoffen uns damit, die Lehramtsstudierenden besser auf das Referendariat und ganz konkret auf die Unterrichtsplanung in ihren Fächern vorzubereiten.

Was ist der Forschungsstand?

Bisherige Studien konnten zeigen, dass das Schreiben von Lerntagebüchern zu einem vertieften Verständnis des behandelten Stoffes führt und außerdem das Bewusstsein für den eigenen Lernprozess fördert (für einen Überblick siehe Nückles, Hübner & Renkl, 2012). Wissenschaftlich ist zudem gut belegt, dass das regelmäßige Schreiben eines Lerntagebuchs zur Nachbereitung von Seminar- und Vorlesungsstunden zu einem höheren Lernerfolg führt als wenn keine vergleichbare Schreibaufgabe gegeben wird beziehungsweise keine Nachbereitung stattfindet (Nückles, Dümer, Hübner & Renkl, 2010). Aber auch Studien, die das Schreiben von Lerntagebüchern mit anderen Schreibaufgaben verglichen haben (Wäschle, Gebhardt, Oberbusch & Nückles, 2015), kommen zu positiven Ergebnissen. So konnten zum Beispiel die Lernforscher Wäschle et al. (2015) zeigen, dass das Führen eines Lerntagebuchs zur Nachbereitung von Unterricht dem Anfertigen von Zusammenfassungen oder Bearbeiten von vorgegebenen Fragen überlegen ist.

Empirische Studien zur Lerntagebuchforschung im Lehramtsstudium zeichnen jedoch ein eher durchwachsenes Bild (Nückles et al., 2018). In der Studie von Hascher und Hofmann (2014) wurde deutlich, dass Studierende ihre Unterrichtsbeobachtungen notieren, ohne diese mit pädagogischen und psychologischen Inhalten aus den bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen zu verbinden. Auch die Studie von Wäschle, Lehmann, Brauch und Nückles (2015) zeigt ähnliche Ergebnisse. In dieser sollten fortgeschrittene Lehramtsstudierende mit Hauptfach Geschichte drei Texte aus den jeweiligen Fachbereichen lesen und diese miteinander verknüpfen. Die Integration der drei Wissensbereiche stellte sich als große Herausforderung heraus und führte zu dem Fazit, dass Studierende hierbei noch eine bessere instruktionale Unterstützung brauchen.

In der Studie von Graichen, Wegner und Nückles (2019) zeichnet sich ein anderes Bild ab. Hier hat sich deutlich gezeigt, dass eine Modellierung in Form eines Beispiellerntagebuchs im Vergleich zu unterstützenden Leitfragen beziehungsweise ohne jegliche instruktionale Unterstützung zu sehr guten Ergebnissen führt. Studierende gelang es, Verbindungen zwischen den drei Wissensbereichen herzustellen und sie schnitten deutlich besser bei unterrichtspraktischen Aufgaben ab. Diese bisherigen Befunde machen also deutlich, dass Lerntagebücher einerseits zwar ein großes Lernpotenzial haben, andererseits aber nur dann, wenn Studierende eine geeignete instruktionale Unterstützung erhalten.

Was haben wir herausgefunden?

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Studierende durch das Tutorial gezielt angeregt wurden, Ziele und didaktische Strategien in ihren Lerntagebucheinträgen zu diskutieren (siehe Abbildung 2), zudem Bezüge zwischen den drei Texten herzustellen und somit in hohem Maße vernetztes Wissen erwarben. Der beispielhafte Lerntagebucheintrag war überraschenderweise nicht sehr effektiv. Auch bei der Bearbeitung der Anwendungsaufgaben mit unterrichtlichem Bezug zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Gruppe, welche das Tutorial im Vorfeld studiert hatte, lieferte qualitativ deutlich bessere Ergebnisse.

Abbildung 2. Anzahl der formulierten Ziele und didaktischen Strategien in den Lerntagebucheinträgen der Studierenden in Abhängigkeit der jeweiligen Versuchsbedingung.

Was heißt das für die Praxis?

Wir wollen Lehramtsstudierende zukünftig erfolgreich darin unterstützen, eine didaktische Argumentationskompetenz zu erlangen, um bei der Unterrichtsplanung unterschiedliche Ziele und didaktische Strategien gegeneinander abwägen zu können sowie die drei isoliert gelehrten Wissensbereiche Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaft zu verknüpfen. Unser Ziel ist es somit, eine bessere Vorbereitung auf konkrete Anforderungen im Referendariat zu gewährleisten. Die ermutigenden Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass das Tutorial einen sehr großen Effekt auf das Lernergebnis und die Wissensanwendung der Studierenden hat. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der Einsatz von Lerntagebüchern mit geeigneter instruktionaler Unterstützung zielführend ist.

Unsere Ergebnisse weisen jedoch auf einen weiteren Forschungsbedarf hin. In weiteren Studien wollen wir noch gezielter die didaktische Argumentationskompetenz der Lehramtsstudierenden fördern und untersuchen, inwiefern sich dadurch positive Effekte auf die Qualität des von den Studierenden geplanten Unterrichts ergeben.

Christina Schuba

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für Erziehungswissenschaft

Kontakt:
E-Mail: christina.schuba@ezw.uni-freiburg.de

Prof. Dr. Thamar Voss

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für Erziehungswissenschaft

Prof. Dr. Matthias Nückles

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für Erziehungswissenschaft

Zugehörige Veröffentlichung

Nückles, M. & Schuba, C. (2019). Teachers as informed pragmatists – ein theoretisches Modell und empirische Befunde zur Förderung didaktischer Argumentationskompetenz von angehenden Lehrkräften. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.), Profilbildung im Lehramtsstudium. Beiträge der “Qualitätsoffensive Lehrerbildung” zur individuellen Orientierung, curricularen Entwicklung und institutionellen Verankerung.

Literatur

Darling-Hammond, L. (2006). Constructing 21st-century teacher education. Journal of Teacher Education, 57(3), 300–314.

Graichen, M., Wegner, E. & Nückles, M. (2019). Wie können Lehramtsstudierende beim Lernen durch Schreiben von Lernprotokollen unterstützt werden, dass die Kohärenz und Anwendbarkeit des erworbenen Professionswissens verbessert wird? Unterrichtswissenschaft, 47(3), 7-28.

Hascher, T. & Hofmann, F. (2014). One size fits all? Unterschiede im Gebrauch von Lerntagebüchern und Voraussetzungen für ihren wirkungsvollen Einsatz in Praktika. In K.-H. Arnold, A.Gröschner & T. Hascher (Hrsg.), Schulpraktika in der Lehrerbildung (S. 257-276). Münster: Waxmann.

King, P. M. & Kitchener, K. S. (1994). Developing reflective judgment: Understanding and promoting intellectual growth and critical thinking in adolescents and adults. San Francisco: Jossey-Bass Publisher.

Nückles, M., Hübner, S., Dümer, S. & Renkl, A. (2010). Expertise reversal effects in writing-to-learn. Instructional Science, 38(3), 237-258.

Nückles, M., Hübner, S. & Renkl, A. (2012). Fostering self-regulated learning by journal writing. In J. R. Kirby & M. J. Lawson (Hrsg.), Enhancing the quality of learning (pp. 178–200). Cambridge: Cambridge University Press.

Nückles, M., Zaki, K., Graichen, M., Liefländer, A., Burkhart, C., Klein, C. & Lösch, L. (2018). Das e-Portfolio in der Freiburger Lehrerbildung: Selbstgesteuerte Kohärenzkonstruktion durch vernetzende Lernaufgabe. In K. Hellmann, J. Kreutz, M. Schwichow & K. Zaki (Hrsg.), Kohärenz in der Lehrerbildung – Theorien, Modelle, empirische Befunde (S. 225–240). Wiesbaden: Springer.

Renkl, A. (1996). Träges Wissen: Wenn Erlerntes nicht genutzt wird. Psychologische Rundschau, 47(2), 78–92.

Shulman, L. S. (1986). Those who understand: Knowledge growth in teaching. Educational Researcher, 15, 4–14.

Wäschle, K., Gebhardt, A., Oberbusch E. M. & Nückles, N. (2015). Journal writing in science: Effects on comprehension, interest, and critical reflection. Journal of Writing Research, 7(1), 41-64.

Wäschle, K., Lehmann, T., Brauch, N. & Nückles, M. (2015). Prompted journal writing supports preservice history teachers in drawing on multiple knowledge domains for designing learning tasks. Peabody Journal of Education, 90(4), 546-559.