La vie n’est pas un roman? – Wie macht man die Auto(sozio)biografie für die professionsorientierte Lehre in der Romanistik nutzbar?

Ergebnisse des Lehrentwicklungsprojekts von Dr. Melanie Koch-Fröhlich, Romanisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Projektlaufzeit: 01.03.2020 – 28.02.2021

Wie kann die Beschreibung der eigenen Lebensgeschichte dazu beitragen, Einblicke in die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten eines Landes oder einer Nation zu geben? Angehende Französisch-Lehrkräfte stehen vor der Aufgabe, mit Hilfe von literarischen Texten zum Nachdenken über autobiografische Schreibprozesse anzuregen und sich dabei auch ein Überblickswissen zu Literatur und Landeskunde anzueignen. Das Lehrentwicklungsprojekt von Dr. Melanie Koch-Fröhlich hat das Ziel, die fachwissenschaftliche Lehre zu diesem Themenfeld so aufzubereiten, dass sie für die Anforderungen des Lehramtsstudiums geeignet ist. Erfahren Sie im Folgenden mehr über die Inhalte und Ziele des Lehrentwicklungsprojekts. 

Wie schreibt man (s)ein Leben? Spätestens seit der Jahrtausendwende beweisen Schriftsteller*innen der Romania großes Interesse an der Auseinandersetzung mit Familiengeschichten. Es entstehen Texte, die (auto-)biografisches Schreiben als ästhetische Technik nutzen, um menschliche Erfahrungen unterschiedlichster zeitlicher und geografischer Herkunft zueinander in Beziehung zu setzen und an die Lebenswelt des Schreibenden zu koppeln. Dabei wird oft das traditionelle (auto-)biografische Erzählen um eine soziokulturelle Dimension ergänzt. Aus diesem Grund berücksichtigt das Lehrentwicklungsprojekt auch das relativ neue literarische Genre der Autosoziobiografie. 

1. Professionsorientierte Fachwissenschaft im romanistischen Lehramtsstudium

Auf welche Weise kann die fachwissenschaftliche Lehre in der Romanistik ausgestaltet werden, um den Spezifika des Lehramtsstudiums gerecht zu werden? Angesichts der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Romanistik-Studierenden den Lehrer*innenberuf anstrebt und später auch ergreift, stellt sich die berechtigte Frage nach einer auf dieses Berufsziel hin zugeschnittenen Fachwissenschaft als wesentlicher Teil einer professionsorientierten Lehrerbildung. Damit verbunden ist die Forderung nach einer Fachwissenschaft, die ein schulrelevantes (Kompetenz-)Wissen lehrt, ohne dabei den der Fachdidaktik vorbehaltenen Aspekt der schulischen Vermittlung mitzuberücksichtigen. Aufgabe einer professionsorientierten Fachwissenschaft sollte es sein, ihre epistemologischen Grundüberzeugungen für Studierende wieder stärker sichtbar zu machen und ihren gesamtgesellschaftlichen Beitrag neu zu reflektieren.

Aus Sicht der Literaturwissenschaften erscheint es vor diesem Hintergrund wesentlich, die studentische Wahrnehmung von Literatur im universitären Unterricht gezielt zu lenken – ein vermeintlich selbstverständlicher Parameter, der bislang aber weitestgehend übersehen wird. Dabei sollten die Studierenden schon von einem möglichst frühen Zeitpunkt an für die kulturelle Funktion von Literatur und damit für die Besonderheiten eines Mediums sensibilisiert werden, dem nicht nur Literaturwissenschaftler*innen ein ausgesprochen hohes existenz- und gesellschaftsanalytisches Deutungspotenzial zusprechen. Ein zweites Ziel ist, die noch immer vorherrschende Kluft zwischen Literaturwissenschaft und Literaturunterricht zu überwinden und die strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen Vermittlungsaufgaben des universitären und des schulischen Literaturunterrichts hervorzuheben. Um das Konzept der professionsorientierten Fachwissenschaft für die Romanistik konkreter zu fassen, wurde dem Lehrentwicklungsprojekt wie bereits im Vorjahr folgende dreiteilige Begriffsdefinition zugrunde gelegt:

  1. Professionsorientierte Lehrveranstaltungen generieren Verknüpfungen zwischen den einzelnen romanistischen Teildisziplinen, namentlich zwischen der Literaturwissenschaft, der Kulturwissenschaft und der Sprachpraxis.
  2. In Anlehnung an die im schulischen Bildungsplan definierten Kompetenzziele vermitteln sie ein Überblickswissen über ausgewählte schulrelevante landeskundliche Themenkomplexe.
  3. Die literaturwissenschaftlichen Seminarinhalte knüpfen an ein funktionales Literaturverständnis an, das der besonderen kulturellen Leistung von Literatur Rechnung trägt.

2. Bezüge zum fremdsprachlichen Schulunterricht und zum Bildungsplan

Autobiografische Zeugnisse geben Auskunft über Prozesse der Identitätsbildung. Darüber hinaus zeigen sie, inwiefern sich die versprachlichte bzw. verschriftlichte Erinnerung als ein komplexer Prozess der (Re-)Konstruktion verstehen lässt, der grundlegende Rückschlüsse über die Funktionsweisen des Gedächtnisses erlaubt. Für den angestrebten Lehrerberuf ist der in der Konfrontation mit fremden Lebensgeschichten angestoßene Reflexionsprozess wesentlich, leistet doch die Auseinandersetzung mit Fremdbiografien einen wichtigen Beitrag für das Eigen- und Fremdverstehen sowie die Selbst- und Weltverortung der Schüler*innen. Auch aus Sicht der Landes- und Kulturwissenschaften erweist sich die Beschäftigung mit der Auto(sozio)biografie als lohnend, da das Genre tiefgehende Einblicke in die politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Realität einer Nation gewährt. Somit transportieren diese Texte ein Wissen von hoher Praxisrelevanz, zumal die im Bildungsplan für den gymnasialen Fremdsprachenunterricht formulierten Kompetenzziele u.a. den Erwerb eines breiten soziokulturellen Orientierungswissens einfordern. Da die Vermittlung solcher Kenntnisse in der Unterrichtspraxis einer notwendigen zeitlichen Beschränkung unterliegt, wird für Studierende bei der didaktischen Aufbereitung der Texte erkennbar, inwiefern sprach-, literatur- und landeswissenschaftliche Aspekte innerhalb einer Unterrichtseinheit sinnvoll miteinander verknüpft werden können. Daher sind bei der Auswahl der im Seminar zu behandelnden Lektüren neben dem literarischen und sprachlichen Anspruch auch die landeskundlichen Schwerpunktsetzungen der Texte von Bedeutung, die sich idealerweise mit jenen der späteren Unterrichtsrealität decken. Privilegierte Themenbereiche etwa sind die Rolle Frankreichs im Zweiten Weltkrieg, die französische Kolonialpolitik sowie das französische Bildungs- und Politiksystem. Einen weiteren Fokus bilden aktuelle gesellschaftsrelevante Themen wie z.B. Migration und Rechtspopulismus.

3. Inhalte und Ziele des Lehrentwicklungsprojekts

Das Lehrentwicklungsprojekt wurde im Wintersemester 2020/21 als Proseminar unter dem Titel „La vie n’est pas un roman? Die Auto(sozio)biografie im 21. Jahrhundert“ erprobt. Im Rahmen des Seminars werden Ansätze und Methoden der (Auto-)Biografieforschung dem (Lebens-)Wissen der Literatur gegenübergestellt. Aufgrund ihres Doppelcharakters zwischen literarischem Text und historischem Dokument eignet sich die Auto(sozio)biografie auf besondere Art und Weise, um literaturwissenschaftlichen Grundsatzthemen nachzugehen. Bei der vergleichenden Analyse zwischen theoretischen und literarischen Texten stehen folgende gemeinsam zu erörternde Fragenkomplexe im Mittelpunkt: Wie und zu welchem Zweck wird Vergangenheit rekonstruiert und in der Gegenwart verwertet? Welche ästhetischen Techniken und Verfahren kommen bei dieser Narrativierung zum Tragen? In welcher Beziehung stehen Autobiografie und Biografie sowie Wirklichkeit und Fiktion zueinander? Entlang dieser Themen lernen die Studierenden, wie sich fachwissenschaftliche Inhalte funktional mit fachdidaktischen Fragestellungen verbinden und für die spätere schulische Praxis nutzen lassen. Aus landes- und kulturwissenschaftlicher Sicht werden sie darin geübt, vergangene und aktuelle Entwicklungen der französischen Gesellschaft, Kultur und Politik zu analysieren und mit Tendenzen der Gegenwartsliteratur in Verbindung zu bringen. Somit verfolgt das Seminar das doppelte Ziel, angehenden Lehrer*innen ein in sowohl literatur- als auch landeswissenschaftlicher Hinsicht schulrelevantes Überblickswissen zu vermitteln. Ein auf dem Konzept der Professionsorientierung basierender Unterricht aber sollte über den reinen Wissenserwerb hinaus noch weitere Kompetenzziele anvisieren. Hierzu zählt neben der adäquaten mündlichen und schriftlichen Fremdsprachenkompetenz insbesondere auch die Fähigkeit der Studierenden, komplexe Informationen auf ihren Kerngehalt zu reduzieren und für eine Lernergruppe in prägnanter, strukturierter Form aufzubereiten.

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Ergebnisse des Lehrentwicklungsprojektes 2019/20:
Literatur, Gedächtnis und Kultur: ein professionsorientiertes Lehrentwicklungsprojekt aus der Romanistik

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