Studienergebnisse: Förderung der Wahrnehmung von Schüler*innenvorstellungen im Flipped Classroom

Das, was Schüler*innen bereits über Physik wissen, beeinflusst stark, was sie im Physikunterricht dazulernen. Aus diesem Grund sollte Physikunterricht Schüler*innenvorstellungen aufgreifen, um die Lernenden dabei zu unterstützen, altes und neues Wissen miteinander zu vernetzen. Damit Lehrkräfte dies leisten können, müssen sie die Vorstellungen ihrer Schüler*innen erkennen. Inwiefern diese Schlüsselkompetenz schon während des Studiums in einem Flipped-Classroom gefördert werden kann, wurde in einer Evaluationsstudie untersucht.

Fachdidaktische Lehrveranstaltungen stehen im Spannungsfeld zwischen fundierter Einführung in die Fachdidaktik als empirische Bildungsforschung und der Schaffung von Bezügen zur Unterrichtspraxis. Zur Steigerung der horizontalen Kohärenz zwischen Fachdidaktik und Unterrichtspraxis wurde eine Einführungsveranstaltung in die Physikdidaktik für Lehramtsstudierende nach dem Flipped-Classroom Ansatz konzipiert und ihre Wirkung auf die gesteigerte Wahrnehmung von Schüler*innenvorstellungen evaluiert.

Umkehrung der Verhältnisse als Chance

In der Veranstaltung werden die üblichen Aktivitäten innerhalb und außerhalb des Hörsaals „umgekehrt“. Den Studierenden werden Inhalte nicht mehr vor Ort an der Hochschule vermittelt, sondern sie erarbeiten sich
diese anhand von digitalen Lernmaterialien selbstständig und im eigenen Lerntempo zu Hause. Die Präsenzzeiten an der Hochschule dienen der gemeinsamen Elaboration und Diskussion der Lerninhalte über authentische Lernaufgaben.

Bei der Arbeit an Lernaufgaben können Studierende mit anderen Lernenden kooperieren und sich bei Fragen oder für ein individuelles Feedback an die Lehrperson wenden. Für die reine Wissensvermittlung, wie sie in klassischen Vorlesungen stattfindet, ist die direkte Interaktion zwischen Lernenden sowie zwischen Lernenden und Lehrenden hingegen nicht mehr notwendig, weshalb diese im Selbststudium vorab erfolgt. Dazu werden den Lernenden Lernmaterialien wie verfilmte Vorlesungen und Erklärvideos, aber auch Texte und Fragen zur Verfügung gestellt.

Die Kombination von Wissensaneignung im Vorfeld und Wissensanwendung während der Präsenzphasen ermöglicht sowohl die Vermittlung deklarativen Wissens und eine fundierte Einführung in Theorien und Konzepte, als auch die Förderung von Lehrkompetenzen.

Veranstaltungen nach dem Flipped-Classroom Ansatz sind besonders zur Förderung der Wahrnehmung von Schüler*innenvorstellungen geeignet, weil einerseits das hierfür nötige fachdidaktische Wissen im Selbststudium erworben wird und andererseits ein Üben der Wahrnehmung von Schüler*innenvorstellungen in den Präsensphasen erfolgen kann.

Unabdingbar: Motivation und Selbststeuerung der Lernenden

Allerdings verlangen Veranstaltungen im Flipped-Classroom ein hohes Maß an Motivation und Selbststeuerung der Lernenden. Aus diesem Grund wurde bei der Evaluation nicht nur der Lernfortschritt der Studierenden betrachtet, sondern auch untersucht, wie dieser von den folgenden vier Motivationsaspekten abhängt:

  1. themenbezogenes Interesse
  2. wahrgenommenes Kompetenzerleben
  3. wahrgenommene soziale Eingebundenheit
  4. wahrgenommene Autonomie bei Lerner*innen

Da die Studierenden zur Wahrnehmung von Schülervorstellungen die physikalischen Konzepte zunächst selber verstehen müssen, ist zudem davon auszugehen, dass auch ihr physikalisches Wissen die Wahrnehmung von Schülervorstellungen beeinflusst.

Fazit: Signifikanter Lernzuwachs durch Seminarkonzeption

Die Evaluationsergebnisse zeigen einen signifikanten Lernzuwachs zwischen einem Vor- und Nachtest hinsichtlich der studentischen Wahrnehmung von Schülervorstellungen. Dieser Zuwachs hängt jedoch weder von einem der Motivationsaspekte, noch vom Fachwissen der Studierenden ab, sondern scheint durch die Seminarkonzeption selbst bereits positiv beeinflusst zu werden. Aus diesem Grund scheint eine Förderung der Wahrnehmung von Schülervorstellungen schon zu einem frühen Zeitpunkt im Studium und im Rahmen von Veranstaltungen im Flipped-Classroom möglich und sinnvoll.

Weitere Informationen