Hochschulpartnerschule aus Überzeugung: Das Montessori Zentrum ANGELL Gymnasium Freiburg im Interview

Teil 2:
Die haben bei mir Unterricht gehalten! Ich kann die duzen, die duzen mich und ich kann die im Grunde alles fragen!
– Schüler*innen des Montessori Zentrums ANGELL Gymnasium werden von Lehramtsstudierenden der Universität unterrichtet

Die Hochschulpartnerschule Montessori Zentrum ANGELL Gymnasium kooperiert mit der Universität Freiburg u.a. im „Netzwerk Philologie und Schule“. In dem Projekt bereiten Studierende im Lehramt Gymnasium Seminarinhalte für den Schulunterricht auf. Eine „Triple-Win-Situation“ wie die Kooperationspartner im Interview erklären.

Gehlen: Das ANGELL Gymnasium kooperiert auch mit dem „Netzwerk Philologie und Schule“ der Universität. Welche Zielsetzung hat diese Kooperation?

Seeber: Germanistik ist an der Universität eines der größten Fächer. Das Projektseminar wird im Vorlesungsverzeichnis extra als besonderes Angebot mit Schulbesuch ausgeschrieben. Wir bieten bereits seit drei Semestern Lehramts-Studierenden im Rahmen der Kooperation an, sich im Kontext einer Gruppenarbeit – also im geschützten Raum an der Schule – auszuprobieren. Als Studierende haben sie einen ganz anderen Draht zu den Schülerinnen und Schülern als ich als Dozent, weil ich ja doch schon etwas älter bin und in einer anderen Rolle. Wenn die Schülerinnen und Schüler an die Uni kommen, wird die Uni als Lebensraum erfahrbar und nicht nur als Studienort. Es ist zwar um die Ecke, aber trotzdem ist es eine andere Welt.

Gremmelsbacher: In der Kooperation mit der Universität suchen wir nach Schnittstellen zwischen dem Lehrplan der Schule und der Theorie der Uniseminare. Studierende der Universität, die sich für die pädagogische Arbeit an der Schule interessieren, bereiten eine Unterrichtsstunde vor und halten diese. Auf der anderen Seite können Schülergruppen in die Universität im Deutschseminar Uniluft schnuppern. Für unsere Schülerinnen und Schüler geht es aber nicht nur darum, wie es ist, wenn man Deutsch studiert, sondern eine frühe Begegnung mit der Universität durch personelle Kontakte ist uns wichtig. Da geht es dann auch darum, wie so ein Studentenleben ist und wie ich überhaupt an die Uni komme.

Gehlen: Wie kam es zu der Kooperation und wie gehen Sie in der Planung vor?

Gremmelsbacher: Der Kontakt kam im ersten Jahr über eine Kollegin zustande, die als Studentin bei Herrn Seeber war und die in ihrer 9. Klasse dann mittelalterliche Literatur durchgenommen hat. Das zweite Projekt war dann in einer zehnten Klasse, wo wir im Bildungsplan den Barock als Schwerpunktthema haben und sich das Lyrikprojekt von Herrn Seeber gut ergänzt hat. Das dritte Projekt war dann zum Faust: Mit der Abiturklasse haben wir nach dem schriftlichen Abitur den Faust gemeinsam gelesen.

Also in der Kooperation suchen wir als erstes ein gemeinsames Thema. Der zweite Aspekt ist die nicht ganz einfache Suche nach dem Zeitpunkt , weil die Übereinstimmungen zwischen dem Schuljahr und dem Unijahr doch relativ gering sind, sodass sich immer nur ein kleiner Zeitraum auftut, um überhaupt zusammen zu kommen, weil das ganze Projekt ja in den Seminaren den Vorlauf braucht und es bei uns eher am Ende einer Einheit stattfinden sollte, sodass die Schülerinnen und Schüler darauf vorbereitet sind, was dann kommt.

Wenn Zeitpunkt und Thema klar sind, ist der nächste Schritt, in welcher Klassenstufe sich das dann am besten einfügt. Ich betreue am Gymnasium auch Studierende und Referendare im Rahmen ihrer Praxisphasen. Man merkt schon, ob Studierende bereits in Richtung Examen gehen und bereits ein Praxissemester absolviert haben. Sie haben dann einen ganz anderen Blick auf die Unterrichtssituation und sie haben schon verschiedene Vorstellungen davon, wie man Unterricht schülergerecht gestalten kann. Insofern ist ein Seminar, das am Ende des Studiums liegt noch einmal eine gute Möglichkeit für die Studierenden, sich auszuprobieren.

Seeber: Durch den Master of Education wird es für die Lehramtsstudierenden schwieriger, vor dem Ende des Studiums Praxiserfahrungen in der Schule zu sammeln. Im nächsten Wintersemester 2017/18 biete ich dieses Seminar gemeinsam mit einer ausgebildeten Lehrerin bereits im Bachelorstudiengang an. Hier werden wir eine längere Vorbereitungszeit einplanen, bevor die Studierenden in den Schulkontakt kommen. Die Grundidee ist, das Angebot in den unterschiedlichen Studiumsphasen angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu gestalten. Um für beide Seiten eine Win-Win-Situation herzustellen, soll es für die Partnerschule eine Qualitätssicherung geben. Die Nachfrage ist in der Universität riesig: Wir hatten so viele Studierende im Seminar, dass wir vier Schulklassen gleichzeitig besuchen konnten.

Gremmelsbacher: Was auch gut ging, weil wir es in der Kursstufe gemacht haben. Dieses Jahr war die Passung zwischen Seminar- und Schulablauf leider nicht so günstig: Da die Schülerinnen und Schüler kurz vor Bekanntgabe der Abinoten standen, konnten sie kein richtiges Feedback mehr zum Seminar geben – das war schade.

Gehlen: Wie kommt das Projekt bei Studierenden und Schülern an?

Seeber: Momentan ist das Projektseminar für die Lehramtsstudierenden auf freiwilliger Basis und nicht an einen Leistungsnachweis gebunden. Die Studierenden bringen wirklich viel Zeit und Engagement mit und es hängt mit großen Phasen der Gruppenarbeit zusammen. Die Eigeninitiative der Studierenden ist ganz erstaunlich: Es ist, als haben sie nur darauf gewartet, das man ihnen den Rahmen gibt, damit sie Arbeitsgruppen bilden und sich selbstständig treffen. So ist es eher ein Ermöglichungsraum für ein vorhandenes Interesse.

Allerdings merke ich auch, dass meine Verantwortung als Dozent eine ganz andere ist, als wenn ich ein ganz normales Seminar gebe. Wenn ich bei der Gruppeneinteilung die Dynamik berücksichtige und die Gruppenarbeit koordiniere und dann dafür sorgen muss, dass wenn sie in der Schule auftauchen, sie sich auch so benehmen, wie sie sollen, geht das weit über das übliche Maß der Dozentenverantwortung hinaus.

Im Fachlichen werden die Studierenden an der Universität hervorragend ausgebildet. Mit dem Angebot versuchen wir jedoch, diese Zweiteilung zu überwinden, dass die Uni nur für den fachwissenschaftlichen Aspekt zuständig ist: In der Schule sollen die Studierenden dann das Fachwissen anwenden und vermitteln.

Gremmelsbacher: Dazu kommen dann noch die methodischen Kompetenzen – also: Wie gestalte ich jetzt diese Stunde? Interessant fand ich, dass ich bei dem Projekt an die Universität ins Deutsche Seminar eingeladen wurde, um mit den Studenten deren Unterrichtsentwürfe zu besprechen. Da konnte ich denen den einen oder anderen Ratschlag geben, sodass sie die Sicherheit haben, dass es in der Schule auch läuft. Wichtig fand ich auch die Nachbesprechung, bei der alle beteiligten Kurslehrer den Studierenden Feedback geben. Gerne würde ich das zukünftig stärker gruppenorientiert machen, um ein persönliches Feedback geben zu können. Das ist im Plenum leider nur bedingt möglich. Dieser Austausch über deren Erfahrungen ist ganz wichtig und auch Impulse zu geben, was aus Lehrersicht vielleicht hätte anders laufen können – das ist von beiden Seiten aus interessant.

Seeber: Wenn Sie als Schule mit der Universität und der PH arbeiten, haben Sie Wechselwirkungen – da gehen Sie nicht wie beim Museumsbesuch einfach hin und konsumieren, sondern da können beide Seiten gleichwertig beitragen. Ein entscheidender Aspekt ist, dass Lehrerinnen und Lehrer an die Uni kommen und mit angehenden Lehrern sprechen. So wird die Schwelle niedriger zwischen dem universitären Leben und dem Lehrerleben. Und wenn dann in diesem Projekt vier Studierende in einer Gruppe mit acht Schüler*innen richtig intensiv eine Dreiviertelstunde arbeiten, dann haben wir eine Triple-Win-Situation: Es gewinnt die Uni, es gewinnt die Schule und es gewinnen die Schüler und Studierenden.

Hochsprung: Ein weiteres Ziel ist, das die Schülerinnen und Schüler das Gymnasiums so verlassen, dass sie in der Lage sind zu studieren. Jedoch sieht man an den Abbrecherzahlen, dass es eben doch nicht für viele das Richtige ist. Insofern können solche Projekte auch dazu beitragen, für Schüler*innen zu klären, ob diese Option für sie vorstellbar ist und Alternativen aufzuzeigen.

Gehlen: Die Kooperation zwischen dem ANGELL Gymnasium und dem Germanistischen Seminar ist also bereits durch mehrere Seminarzusammenarbeiten gut etabliert. Wie sehen Sie Ihre weitere Zusammenarbeit in der Zukunft?

Gremmelsbacher: Aus den bisherigen Erfahrungen heraus wäre die richtige Zielgruppe für die weitere Zusammenarbeit die 11. Klasse, die inhaltlich und gedanklich in der Schule präsent sind und wirklich ein Interesse daran haben, Uniluft zu schnuppern. Konzeptionell könnte man die Kooperation mit entsprechenden inhaltlichen Anknüpfungspunkten in den Jahresplan der Kursstufe 1 implementieren. Eine weitere Möglichkeit sehe ich im neuen Bildungsplan der 7. oder 8. Klasse, in der eine Einheit zum Mittelalter enthalten ist.

Seeber: In der Universität haben sich regelmäßige Kooperationsseminare zwischen Alt- und Neugermanistik etabliert, in denen die fachlichen Inhalte zusammenkommen. Das Spannende daran ist, das hohe Komplexitätsniveau herunterzubrechen, um die universitäre Lehre im Bereich der Lehrerausbildung darauf auszurichten, was in der Schule unterrichtet werden kann, was für die Dozierenden eine unglaubliche Herausforderung ist. Aus meiner Sicht muss die Universität in der Ausbildung der Lehramtsstudierenden auch eine dienende Rolle für die Schulen haben.

Gehlen: Wie bewerten Sie das Kooperationsprojekt insgesamt?

Gremmelsbacher: Für die Schüler*innen ist es eine Abwechslung im Hinblick auf Personen und Methoden, wenn Studierende punktuell den Unterricht gestalten. Das allein ist schon immer erfrischend für den Unterricht. Aber dass Leute von der Uni sich dafür interessieren, bei uns Unterricht zu machen, steigert auch die Motivation. Das hat mit den Inhalten erst mal nichts zu tun, aber damit, dass man die Schüler*innen als Personen ernst nimmt. Es sind keine Referendare: Diese werden nicht als Studierende, sondern als Lehrer wahrgenommen. Die frühen Begegnungen mit der Uni und dem Unileben über solche persönlichen Kontakte sind auf einer anderen Ebene als wenn da ein Professor etwas erzählt oder eine Vorlesung hält: „Die haben bei mir Unterricht gehalten! Ich kann die duzen, die duzen mich und ich kann die im Grunde alles fragen!“

Seeber: Das ist wie eine Art kleines Mentoring – ich bin da per Rollendefinition ausgeschlossen. Die Studierenden und Schülerinnen sind im Kontakt.

Gremmelsbacher: Für uns als Lehrkräfte sind es die inhaltlichen Impulse, indem man über seinen Bildungsplan hinausschaut. Leider kommt diese wissenschaftliche Arbeit mit den Themen im Schulalltag zu kurz.

Seeber: Das Co-Teaching ist gewinnbringend, indem man gemeinsam ein Seminar unterrichtet. Man bekommt dabei neue fachliche Aspekte auf Augenhöhe mit und kann gleichzeitig fachdidaktische Aspekte vermitteln. Allerdings ist der konzeptionelle Aufwand ein anderer durch die gemeinsame Vorbereitung.

 

Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews mit dem Montessori Zentrum ANGELL Gymnasium zum Hintergrund der kürzlichen geschlossenen Hochschulpartnerschaft.

 

Weitere Informationen:

Montessori Zentrum ANGELL Freiburg Gymnasium

Informationen zum Thema „Literaturwissenschaft und Schule“ bei der Abteilung „Germanistische Mediävistik“ des Deutschen Seminars der Universität Freiburg

Exposé zum Lehrprojekt von PD Dr. Stefan Seeber

Erfahrungsbericht zum Lehrprojekt von Kilian Schweidler (Wissenschaftliche Hilfskraft)

Deutschlandfunk-Beitrag zum Thema Lern-Metaphern mit Interviews mit ANGELL-Schüler*innen

Weitere Informationen zur Forschung zu Lern-Metaphern von Dr. Elisabeth Wegner