„Ich kann einfach kein Mathe!“ – Wie gehen Mathematiklehrkräfte mit solchen Schüler*innenüberzeugungen um?

Mathematikunterricht, 5.Klasse, Thema lineare Gleichungssysteme: Jan klappt frustriert sein Heft zusammen und sagt „Ich kann das einfach nicht! Schon wieder falsch! Aber ist ja auch egal, ich war schon immer schlecht in Mathe, da kann man nix machen.“

Wie sollte eine Lehrkraft mit dieser Aussage umgehen? Dieser Frage widmeten sich Helene Rieche (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Anna Ibach (Pädagogische Hochschule Freiburg) und Prof. Dr. Alexander Renkl (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) und berichten auf FACE über die Ergebnisse ihrer Studie.

Worum geht es in unserer Studie?

In der Bildungsforschung wächst die Erkenntnis, dass das Lernverhalten stark von Überzeugungen über das Lernen geprägt wird. So hat zum Beispiel die PISA-Studie 2012 gezeigt, dass die persönliche Überzeugung, wie gut man in Mathe ist, eng mit der tatsächlichen Matheleistung zusammenhängt. Anders gesagt: Ob wir etwas lernen, hängt davon ab, ob wir glauben, dass wir es lernen können. Im Prinzip ist das etwas Gutes, denn bekanntermaßen kann der Glaube Berge versetzen und dazu führen, dass wir uns mehr anstrengen und dann wirklich besser werden. Es gibt aber auch den entgegengesetzten Effekt: Wenn wir glauben, etwas nicht lernen zu können, haben wir wenig Grund dazu, Mühe und Anstrengung zu investieren. Ein Lernerfolg ist eher unwahrscheinlich. Weil die Schule ein Ort ist, an dem Lernen gefördert werden soll, fallen ungünstige Überzeugungen dort besonders ins Gewicht.

Was war das Ziel unserer Studie?

Viele Schülerinnen und Schüler tragen „Ich-kann-das-nicht“-Überzeugungen mit sich herum, vor allem in Fächern wie Mathe. Es ist Aufgabe der Lehrkräfte, solche Überzeugungen aufzugreifen und Schüler wie Jan dabei zu unterstützen, seine Mathe-Blockade zu lösen. Das setzt allerdings voraus, dass Lehrkräfte problematische Überzeugungen überhaupt erkennen. Auch sollten sie eine Vorstellung haben, woher ungünstige Überzeugungen kommen und wie man ihnen entgegenwirken kann.

In unserer Studie haben wir genau das untersucht: Erkennen es Lehrkräfte, wenn Schülerinnen und Schüler überzeugt sind, Mathe nicht lernen zu können? Können sie die Ursachen und Folgen solcher Überzeugungen abschätzen (Erklären)?  Außerdem wollten wir herausfinden, wodurch das Erkennen und Erklären beeinflusst wird. Dazu haben wir erfasst, welches theoretische Wissen Lehrkräfte über Überzeugungen haben, welche eigenen Fähigkeitsüberzeugungen sie haben und über wie viel Lehrerfahrung sie verfügen.

Was haben wir herausgefunden?

Unsere aktuelle Studie zeigt, dass Mathematiklehrkräfte Schwierigkeiten damit hatten, ungünstige Schüler*innenüberzeugungen zu erkennen. Allerdings gelang ihnen das Erkennen und Erklären solcher Überzeugungen umso besser, je mehr Wissen sie darüber hatten. Zum Beispiel half es, bildungswissenschaftliche Theorien über Attributionen, das Selbstkonzept oder Selbstwirksamkeit zu kennen. Die Erfahrung spielte dabei keine Rolle: Lehrkräfte mit viel Unterrichtserfahrung waren nicht automatisch besser darin, ungünstige Überzeugungen zu erkennen und erklären. Auch die eigenen Überzeugungen der Lehrkräfte hatten keinen Einfluss darauf, wie sie mit Überzeugungen der Schüler*innen umgingen.

 

Was bedeuten unserer Ergebnisse für die Praxis?

Diese Ergebnisse sprechen dafür, das Thema Fähigkeitsüberzeugungen in der Lehramtsausbildung aufzugreifen. Wichtig wäre, theoretisches Wissen zu vermitteln und dabei auch konkrete Handlungsmöglichkeiten zu besprechen. Es lohnt sich aber auch für erfahrene Lehrkräfte, sich mit Fähigkeitsüberzeugungen zu beschäftigen. Die Bildungsforschung hat hilfreiche Modelle und Theorien hervorgebracht, aus denen Handlungsideen abgeleitet werden können. Beispielsweise gibt es Attributionstrainings oder Selbstkonzept-Interventionen. Dieses theoretische Wissen kann dabei helfen, wenn Lehrkräfte im Unterrichtsalltag mit Aussagen wie „Ich kann das einfach nicht!“ konfrontiert werden.

Helene Rieche, Anna Ibach & Prof. Dr. Alexander Renkl

 

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Weitere Informationen u.a. zu den theoretischen Grundlagen der Studie sowie zur Methodik finden Sie in der Langversion dieses Beitrags.

Ansprechpersonen

Helene Rieche, Postdoktorandin am Institut für Erziehungswissenschaft (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) und inhaltliche Betreuerin der Studie:
helene.rieche@ezw.uni-freiburg.de

Anna Ibach, Doktorandin der Mathematikdidaktik (Pädagogische Hochschule Freiburg) und Autorin der Studie:
anna.ibach@ph-freiburg.de

Prof. Dr. Alexander Renkl, Professor für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) und Betreuer der Studie

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