Hochschulübergreifende, empirische Lehrer*innenbildungsforschung – ein gemeinsames Interesse

Abschlussfeier des FACE-Promotionskollegs CURIOUS am 24.10.2018 im Denkraum Freiburg

Nach intensiver dreijähriger Forschungsarbeit kamen die Doktorand*innen des Promotionskollegs CURIOUS mit ihren Betreuer*innen sowie dem Leitungsteam des Kollegs und der Kollegskoordination zum feierlichen Abschluss im Freiburger Denkraum zusammen.

So innovativ wie der Tagungsort war auch die Anlage des Promotionskollegs: Empirische Lehrer*innenbildungsforschung sollte in unterschiedlichen Disziplinen, an zwei beteiligten Hochschulen mit unterschiedlicher inhaltlicher Zielsetzung und mit verschiedenen methodischen Herangehensweisen betrieben werden. Mit dieser Konzeption stieß man im Vorfeld der Beantragung des Kollegs auch auf einigen Widerstand, wie Kollegsprecher Prof. Dr. Matthias Nückles betonte. Trotzdem hat das Gutachtergremium den Antragstellern einen großen Vertrauensvorschuss mit auf den Weg gegeben und das Kolleg mit insgesamt 1,6 Millionen Euro unterstützt. „Das Vertrauen bestand mit gutem Grund, wie man jetzt festhalten kann, denn das Kolleg hat ausgesprochen erfolgreich gearbeitet“, lobte Nückles. In den kommenden Monaten wird ein Großteil der Promotionsprojekte abgeschlossen sein. „Das Ziel, Lehrerbildungsforschung disziplinenübergreifend zu betreiben, ist sehr gut realisiert worden“, so Nückles.

Dass die Themen der Arbeiten auch wissenschaftlich und bildungspolitisch von großer Relevanz sind, betonte der zweite Kollegsprecher Prof. Dr. Timo Leuders: „Evidenzbasierte Lehrerbildung ist das Thema in Baden-Württemberg, sowohl in Bezug auf die Ausbildung an den Schulen als auch an den Hochschulen. Unsere Rolle besteht darin, dafür zu sorgen, dass die gefundenen Evidenzen auch im Unterricht ankommen und Resultate liefern!“ Die Forschenden sollten die Praktiker*innen und die politischen Verantwortlichen im Land davon überzeugen, wie evidenzbasierte Wissenschaft funktioniert, und wie sie dazu beitragen kann, die derzeit drängenden bildungspolitischen Fragen zu beantworten.

Wie die empirische Arbeit zu diesen Fragen im Einzelnen aussehen kann und welche wissenschaftlichen Antworten aus dem Kolleg resultieren können, beschrieben die Doktorand*innen des Kollegs bei einer kurzen Vorstellung ihrer jeweiligen Promotionsvorhaben, welche von den jeweils begleitenden Betreuenden im Anschluss kommentiert wurden.

Michaela Oettle untersucht in ihrem Promotionsprojekt über welches Fachwissen gymnasiale Physiklehrkräfte verfügen sollten, um das Thema Teilchenphysik adäquat für den Unterricht vorbereiten und diesen durchführen zu können. „In insgesamt drei Befragungsrunden habe ich Expert*innen aus Forschung, Fachdidaktik und aus der Öffentlichkeitsarbeit gebeten, fachwissenschaftliche Themen zu benennen und zu charakterisieren, die aus ihrer Sicht relevant sind. Als Ergebnis konnte ich eine Zusammenstellung von zehn Haupt- und 35 Unterthemen innerhalb der Teilchenphysik als wirklich relevant für das Fachwissen von Lehrkräften identifizieren.“ Die bisherigen Ergebnisse der Arbeit lassen sich unter anderem als Basis für die Konzipierung von Lehrer*innenaus- und -fortbildungsprogrammen zum Thema Teilchenphysik nutzen, so die Doktorandin. Außerdem können die Ergebnisse als Diskussionsgrundlage für die Entwicklung von Lehr- und Bildungsplänen zum Thema dienen.

Im Promotionsvorhaben von Ina Kordts mit dem Arbeitstitel „Interaktionen zwischen Lehrpersonen und neu zugewanderten Schüler*innen in der Sekundarstufe“ steht das unterrichtliche Handeln von Lehrkräften und sog. Seiteneinsteiger*innen ins deutsche Bildungssystem im Vordergrund. Die Handlungen der Lehrpersonen sowie der Lernenden wurden mittels Video- und Audioaufnahmen an unterschiedlichen Schulformen ermittelt, um unter anderem zu untersuchen, ob die gegebenen Rahmenbedingungen einen Einfluss auf das Handeln im Unterricht haben. In der Untersuchung konnten deutliche interaktionale Unterschiede zwischen den Schulen aufgezeigt werden. Diese beziehen sich zum Beispiel auf den Umgang mit Heterogenität, auf die von Lehrkräften ausgehenden Unterstützungshandlungen und auf die Aushandlung sozialer Identitäten, die in sprachlichen Handlungen zum Ausdruck kommen. Solche Einblicke in interaktionale Profile können einen Beitrag zur Diskussion um individuelle Förderung und (sprachliche) Heterogenität im Regelunterricht leisten und zum Grundlagenwissen in der Lehrer*innenausbildung beitragen, erklärte Kordts.

Im Dissertationsprojekt von Anja Prinz konnte gezeigt werden, dass es wichtig ist, dass Lehramtsstudierende im Rahmen ihres Studiums akkurates Grundlagenwissen in Statistik erwerben. Nur dann können sie Forschungsergebnisse aus der Bildungswissenschaft nutzen und im eigenen unterrichtlichen Handeln gewinnbringend einsetzen.

Im Projekt wurde u.a. untersucht, über welche metakognitiven Fähigkeiten Lehramtsstudierende beim Textverstehen verfügen, wie sich diese Fähigkeiten im Verlauf des Studiums entwickeln und wie Lehramtsstudierende sie verbessern können.

Eva Nelz weist im Rahmen ihres Promotionsprojekts nach, dass muttersprachliche und nichtmuttersprachliche Spanischlehrkräfte typische Sprechakte im Unterricht häufig im Subjunktiv realisieren. „Die Schüler*innen zu bitten, dies oder jenes zu tun, gehört für eine Lehrkraft zum täglichen Brot. Im Spanischen können Aufforderungen, Bitten, usw. im Verbmodus Subjuntivo geäußert werden.“ Die Untersuchung des mündlichen Subjunktivgebrauchs durch fortgeschrittene Spanischstudierende des Lehramts ergab deutliche Schwächen in diesem Bereich. Ein möglicher Grund dafür wird in der Muttersprache dieser Lerner*innen vermutet, in der es keine äquivalente Struktur gibt und es ihnen somit schwerfällt, Vernetzungen mit zuvor gelernten Sprachen herzustellen. Die bisherigen Ergebnisse der im Rahmen der Dissertation durchgeführten Studie legen nahe, dass Student*innen, deren sprachliches Vorwissen im Verlauf der Ausbildung integriert wird, den Subjunktiv langfristig korrekter gebrauchen als Studierende, denen der Verbmodus nur in der Zielsprache vermittelt wurde. Das Forschungsprojekt plädiert damit für die Integration mehrsprachigkeitsdidaktischer Lehrverfahren in die sprachpraktische Ausbildung angehender Spanischlehrer*innen.

Unterrichten stellt auf Grund der hohen Komplexität des Geschehens im Klassenraum Lehrkräfte vor große Herausforderungen. Angehende Lehrkräfte müssen daher die Kompetenz erwerben, Unterrichtssituationen effektiv zu steuern, um Störungen vorzubeugen und die time on task auf der Seite der Lernenden zu maximieren. Dazu werden in den Klassensituationen permanent Informationen von den Lehrkräften aufgenommen, um davon ausgehend Entscheidungen treffen und handeln zu können. Diese Informationen werden unter anderem visuell durch die Betrachtung des Unterrichtsgeschehens gewonnen. Jasmin Leber untersucht im Rahmen eines Forschungsprojekts von Juniorprofessorin Thamer Voss, wie angehende und erfahrene Lehrkräfte Unterrichtsszenen wahrnehmen und ob bzw. wie sie sich in ihrem Blickverhalten unterscheiden. In Kombination mit verbalen Interview-Daten soll untersucht werden, wie angehende und erfahrene Lehrkräfte beim Betrachten von Unterrichtssituationen vorgehen und ob erfahrene Lehrkräfte über visuelle Wahrnehmungsstrategien verfügen, von deren Erwerb angehende Lehrkräfte profitieren können.

Tobias Joos hat im Rahmen seines Dissertationsprojekts untersucht, inwiefern sich diagnostische Kompetenzen von Lehramtsstudierenden des Fachs Biologie im Rahmen einer kurzen Lehrveranstaltung fördern lassen. Die Intervention ermöglichte es den Studierenden, fachliches Denken von Schüler*innen mithilfe von Lernaufgaben zu analysieren und selbst Aufgaben zur Diagnose und Förderung zu entwickeln. Die Ergebnisse der Interventionsstudie legen nahe, dass dabei eine grundlegende aufgabenbezogene Diagnosekompetenz erworben wurde. Darüber hinaus wurden Lehramtsstudierende als angehende Lehrkräfte für die Themen der Diagnose und Förderung sensibilisiert. Ein zentrales Ergebnis des Projekts ist die Bereitstellung eines evidenzbasierten Unterrichtsmoduls, dessen Wirksamkeit nachgewiesen und seit dem Wintersemester 2018/2019 in die Lehre des gemeinsamen Masterstudiengangs implementiert ist.

Helene Rieche hat in ihrem Promotionsprojekt unter anderem untersucht, wie Lehrkräfte mit ungünstigen Schüler*innenüberzeugungen umgehen. Ein zentrales Ergebnis ist, dass (konzeptuelles) Wissen über solche Überzeugungen helfen kann, Schüler*innen beim Lernen zu unterstützen. Für die Lehramtsausbildung kann daraus abgeleitet werden, dass es wichtig ist, im Rahmen des Studiums relevante pädagogisch-psychologische und fachdidaktische Konzepte zu vermitteln und die Verknüpfung dieser Wissensinhalte im Rahmen der Ausbildung zu unterstützen.

Angehende Lehrkräfte besuchen während ihres Studiums Veranstaltungen der Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaft. Diese drei Wissensbereiche bleiben aus Sicht der Studierenden oft unverbunden. Nach Wahrnehmung der Studierenden wird diese Wissensintegration während des Studiums nicht angeleitet und fällt vielen Studierenden schwer. Für eine effektive Durchführung von Unterricht ist es allerdings wichtig, dass die Wissensintegration stattfindet und die Inhalte miteinander verbunden werden. Um die Studierenden bei der Wissensintegration zu unterstützen, untersucht Martina Graichen in ihrem Dissertationsprojekt experimentell, ob das angeleitete Schreiben von Lernprotokollen eine Möglichkeit darstellen kann, die Inhalte der drei Wissensbereiche miteinander zu verknüpfen und wie die Instruktion für das Lernprotokollschreiben aussehen sollte.

Das Dissertationsprojekt von Christina Schuba beschäftigt sich ebenfalls mit der Wissensintegration mithilfe von Lerntagebucheinträgen und nimmt thematisch Bezug zu den Vorarbeiten der Arbeitsgruppe. Da die Doktorandin später in das Kolleg gekommen ist, steht die Forschungsarbeit noch am Anfang. Auch in dieser Untersuchung soll es darum gehen, die Herstellung von Verknüpfungen innerhalb der Lehramtsausbildung, insbesondere im Fach Geschichte, zu unterstützen.

In ihrem Zwischenfazit lobte die Doktorandin besonders die gute Unterstützung, die sie durch das Kolleg beim Erwerb von methodischen Kompetenzen erhalten habe, sowie die gute Beratung, bezüglich der Entwicklung ihres Forschungsdesigns.

Instruktionale Erklärungen stellen eine allgegenwärtige Methode im Unterricht dar, um den Wissenserwerb von Schüler*innen zu fördern. Die Generierung effektiver Erklärungen allerdings hängt in hohem Maße von der pädagogischen Professionalität der Lehrkräfte ab“, erklärte Nückles. Im Dissertationsprojekt von Mona Weinhuber wurde untersucht, wie die verschiedenen Kompetenzfacetten einer Lehrkraft die Generierung von instruktionalen Erklärungen in unterschiedlichen Unterrichtsfächern des MINT-Bereichs bedingen.

In einer abschließenden Rückmelderunde hatten die Promovierenden und ihre Betreuer*innen die Möglichkeit, ihren Promotionsprozess gemeinsam zu reflektieren und mit dem Promotionskolleg CURIOUS in Zusammenhang zu bringen.

Die Koordinatorin des Kollegs, Dr. Sylvia Nienhaus, die auch für den erfolgreichen Verlauf der Abschlussveranstaltung gesorgt hatte, betonte noch einmal den Vorteil, den ein solches Format für eine gelungene Forschungsarbeit leisten kann und ergänzte: „Das Zusammenspiel von Doktorand*innen und Betreuer*innen im Kolleg mit deren jeweiligen Einsichten und Erfahrungen ist in vielerlei Hinsicht erhellend und bringt eine weitere Perspektive in die Forschungsarbeit ein.

Abgesehen von der fachlichen und methodischen Unterstützung, die ein Promotionskolleg bieten kann, schätzten die Beteiligten die Zusammenarbeit auch auf persönlicher Ebene. Ein*e Teilnehmer*in fasste es so zusammen: „Die Promotionszeit im FACE bedeutet für mich eine schöne und intensive Lebensphase, in der ich viel gelernt und mich persönlich weiterentwickelt habe.

Silia Fürniss