Prof. Dr. Uwe Bittlingmayer: Evidenzbasierte inklusionsorientierte Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte und weiteres pädagogisches Personal – ein Projektbericht

Praxiskolleg Ringvorlesung WS 18/19 „Lehr- und Lernperspektiven – Impulse aus der Forschung für Schule und Unterricht“ am 10.01.2019

Die erste Ringvorlesung im neuen Jahr eröffneten der Referent Prof. Dr. Uwe Bittlingmayer und die Diskutantin Heike Bold. Gemeinsam stellten sie anhand des StiEL-Projekts die schulische Inklusion in der praktischen Umsetzung in Baden-Württemberg vor.

Prof. Dr. Bittlingmayer ist seit 2009 Soziologe am Institut für Soziologie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Heike Bold ist am Schulamt Offenburg tätig und hat im Rahmen ihrer Promotion bei Prof. Dr. Bittlingmayer Interviews mit schulischen Partnern zur Inklusion geführt. Das BMBF-VerbundprojektSchule tatsächlich inklusiv – Evidenzbasierte modulare Weiterbildung für praktizierende Lehr- und andere pädagogische Fachkräfte” (StiEL) wird in der Laufzeit von 2018 bis 2020 von drei beteiligten Hochschulen durchgeführt, der Pädagogischen Hochschule Freiburg, der Universität Bielefeld und der Universität Potstdam.

Zum Einstieg in den Abend gab Prof. Dr. Bittlingmayer einen Einblick in das Thema Inklusion allgemein und dessen geschichtliche Entwicklung. Er legte dar, dass sich Deutschland nach einigen Kontroversen hinter die Forderung, ein inklusives Schulsystem zu etablieren, stellte und 2009 die Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) unterzeichnete. Die BRK besitzt völkerrechtlichen Status und den Rang einer allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und gilt daher nicht nur für spezifische Gruppen mit besonderen Beeinträchtigungen. Durch diese Regelung geriet, so Bittlingmayer, das Sonder- und Förderschulsystem zunächst unter Druck, weil viele Beteiligte der Meinung waren – und dies teilweise auch bis heute noch vertreten –, dass es doch möglich sein müsste, alle Schüler*innen gemeinsam zu unterrichten. In der Lehramtsausbildung wurde in fast allen Bundesländern mindestens ein Pflichtmodul zum Thema Inklusion eingeführt und neue Professionsstellen an den Universitäten geschaffen. Somit wurde in einer relativ kurzen Zeit eine sichtbare Veränderung im Bildungssystem deutlich.

„Bildung für alle!“

Inklusion ist, legte Prof. Bittlingmayer dar, nun zu einem bereichsübergreifenden Bezugsrahmen geworden, der zunächst eine diskursive Erfolgsgeschichte verzeichnet und sich mittlerweile als normativer Anspruch und als Gerechtigkeitsfolie etabliert hat. Inklusion wirkt somit, laut Bittlingmayer, in die Vorstellung und Dimension von Gerechtigkeit mit ein, infolgedessen sie immer wieder viele Fragen aufwirft.

Inklusiv werden

Nach Prof. Bittlingmayers Beobachtung ist es ein Phänomen, dass Lehrkräfte mit Inklusion einverstanden sind, solange es sich um eine abstrakte normative Idee handelt und ihre Schule und ihr Unterricht nicht davon „betroffen“ sind. Was passiert jedoch, wenn Schulen „plötzlich“ inklusiv werden und ein inklusives Kind in die Klasse kommt? Welche Effekte hat dies auf Klassenebene?

Vorstellung des StiEL-Projekts

Zur Beantwortung dieser Frage stellte Prof. Dr. Bittlingmayer das anwendungsbezogenen Forschungs- und Entwicklungsprojekt Projekt “Schule tatsächlich inklusiv – Evidenzbasierte modulare Weiterbildung für praktizierende Lehr- und andere pädagogische Fachkräfte” (StiEL) vor In diesem Projekt werden evidenzbasierte Module für inklusionsorientierte Fort- und Weiterbildung für Lehrkräfte und weiteres pädagogisches Personal allgemeinbildender und berufsbildender Schulen entwickelt. Diese Module werden in der Schulpraxis von fortgebildeten Lehrkräften eingesetzt und mit quantitativen und qualitativen Methoden evaluiert. Die Durchführung des Projekts findet in drei Bundesländern statt.

Die ersten Ergebnisse zeigen, dass es zwar bereits viele Fortbildungsangebote gibt, aber ein Missverhältnis besteht zwischen dem, was es gibt, und dem, was gewollt wird. Die Sichtweisen auf Inklusion im Allgemeinen sind sehr verschieden und beinhalten teilweise Diskrepanzen zwischen Ansprüchen und Umsetzungsformen und -möglichkeiten und zwar häufig direkt in den Schulen selbst.

Diskussion

Im Anschluss an den Vortrag von Prof. Dr. Bittlingmayer gab Frau Bold einen Einblick in das Thema Inklusion aus der Perspektive von Grundschullehrkräften. Sie verdeutlichte anhand erster Ergebnisse aus Interviews mit Grundschullehrkräften, dass die Vorbereitung auf Inklusion von Lehrkräften als „einfach reingeworfen worden“ oder “Sprung ins kalte Wasser“ empfunden wird. Frau Bold betonte, dass Ihrer Meinung nach Inklusion als gesamtgesellschaftlicher Auftrag gesehen werden muss. Für Diskussionen sorgten vor allem unterschiedliche Besoldungen der im Team zusammenarbeitenden Lehr- und Betreuungskräfte. Auch kommt es ihrer Erfahrung nach zu Überforderungssituationen durch Krankheitsausfälle, wenn Lehrkräfte alleine und ohne weitere Unterstützung gelassen werden.

Hier appellierte sie an den politischen Willen, um eine kontinuierliche enge Zusammenarbeit sonderpädagogischer Kräfte mit Grundschulpädagogen zu unterstützen, denn sie ist unabdingbar, um Inklusion zu gestalten. Frau Bold wies darauf hin, dass sonderpädagogische Kräfte ständig in unterschiedlichen Settings arbeiten und sie dadurch wie „Chamäleons“ ihre Funktion in den verschiedenen Klassen der betreuenden Kinder besitzen. Grundschullehrkräfte stehen dabei vor der Herausforderung eines Rollenwechsels vom „Ich“ zum „Wir“. Sie bekommen durch die sonderpädagogischen Erfahrungen und die Expertise der sonderpädaogischen Kolleg*innen einen anderen Blick auf die Schüler*innen und lernen viel voneinander.

Martina von Gehlen & Mirjam Emmering

 

Videomitschnitt

Hier finden Sie den Videomitschnitt des Votrages von Prof. Dr. Uwe Bittlingmayer:

 

Weitere Informationen

Präsentation von Prof. Dr. Uwe Bittlingmayer

Alle Informationen, Berichte und Veranstaltungen der Ringvorlesung „Lehr- und Lernperspektiven – Impulse aus der Forschung für Schule und Unterricht“ finden Sie auf der Webseite zur Ringvorlesung.