Prof. Dr. Matthias Nückles bei Fachgesprächsreihe: Was macht gute Lehrer*innenbildung aus?

Auf Einladung von Nadyne Saint-Cast MdL (Grüne) nahmen zwei Professoren der School of Education FACE als Experten an der Fachgesprächsreihe „Lehrer*innen-Bildung in Baden-Württemberg“ teil. Bei den bislang zwei Veranstaltungen lieferten sie gemeinsam mit Vertreter*innen der Universität Heidelberg und dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung die fachliche Grundlage für die anschließende Diskussion mit den Teilnehmenden. Insbesondere im Hinblick auf Verbesserungsmöglichkeiten fanden sie klare Worte.

Bei der Veranstaltung am 28. Januar zum Thema „Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern“ informierten Prof. Dr. Matthias Nückles (Universität Freiburg) und Prof. Dr. Anne Sliwka (Universität Heidelberg) die Teilnehmenden zunächst über den aktuellen Stand der Forschung. Auf die fachliche Einführung durch die beiden Professor*innen folgten kurze Stellungnahmen von Lehrkräften, Studierenden und Schüler*innen sowie schließlich ein ausführlicher Austausch aller Anwesenden.

Bei der knapp dreistündigen Videokonferenz standen die Universitäten und Pädagogischen Hochschulen als Orte der ersten Phase der Lehrer*innenbildung im Fokus. Bei einem zweiten Termin der Reihe am 11. Februar ging es dann um die Fortbildung von Lehrkräften. Hierzu war Prof. Dr. Timo Leuders von der Pädagogischen Hochschule Freiburg als Experte eingeladen.

Vielschichtige Anforderungen erfordern komplexes Wissen

Prof. Dr. Matthias Nückles stellte bei seinem Vortrag die Frage nach dem Wissen in den Mittelpunkt, das Lehrkräfte benötigen, um die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Diese Anforderungen seien extrem anspruchsvoll und vielschichtig. So seien Lehrer*innen Fachleute für das Lehren und Lernen, hätten eine Beurteilungs- und Beratungsaufgabe und zudem noch einen Erziehungsauftrag.

Daneben sollten sie ihre Kompetenzen ständig weiterentwickeln und sich zudem noch an der Schulentwicklung beteiligen. In jüngerer Zeit seien zusätzlich noch Anforderungen in den Bereichen Inklusion, Diverstät und digitale Medien hinzugekommen.

Der Komplexitätsgrad der Anforderungen an Lehrer*innen ist vergleichbar mit denen von Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen

Die Komplexität dieser Anforderungen, so Professor Nückles, sei durchaus mit denen des Ärzt*innen- oder Psychotherapeut*innen-Berufs vergleichbar. Dies gelte aber leider nur bedingt für die Ausbildung. Während in den Approbationsstudiengängen wie Medizin oder Psychologie ausreichend Mittel für Betreuung und Infrastruktur zur Verfügung stünden, sei die Lehrer*innenbildung chronisch unterfinanziert. Kleingruppentrainings oder die erweiterte praktische Ausbildung durch Universitätskliniken und Hochschulambulanzen fänden in der Lehramtsausbildung keine adäquaten Entsprechungen.

Zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten Lehrkräfte Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und allgemeines pädagogisches Wissen. Die Vermittlung dieser drei Wissensbereiche müsse gut aufeinander abgestimmt sein, um die angehenden Lehrkräfte optimal auf ihren Beruf vorzubereiten. Ansonsten würde träges Wissen produziert, dass zwar theoretisch vorhanden sei, aber in der Praxis nicht angewendet werden könne.

 

Welches Wissen benötigen Lehrkräfte?
Welches Wissen benötigen Lehrkräfte? | Bild: Prof. Dr. Matthias Nückles

Drei Voraussetzungen für eine gute Lehrer*innenbildung: Kohärente Curricula …

Um Lehramtsstudierende optimal auf ihren zukünftigen Beruf vorzubereiten, bedürfe es laut Professor Nückles vor allem dreier Voraussetzungen. Das seien zunächst kohärente Curricula, die eine Abstimmung der Ausbildungsinhalte auf drei Ebenen berücksichtigen müssten: innerhalb der und zwischen den oben genannten drei Wissensbereichen, zwischen universitärer Lehre und Praxisphasen sowie zwischen der ersten und zweiten Phase der Lehrkräftebildung.

… Professionsorientierung …

Sodann sei eine Professionsorientierung in den Studieninhalten notwendig. Die bildungswissenschaftlichen Curricula müssten auf die konkreten Anforderungen des Lehrer*innenberufs ausgerichtet sein und in den Fachwissenschaften Themen behandelt werden, die auch in den Bildungsplänen der Schulen vorkämen.

… und wissenschaftsbasierte Ausbildung.

Schließlich sei eine wissenschaftsbasierte Ausbildung essentiell. Studierende müssten den aktuellen Stand der Forschung in allen drei Wissensbereichen kennen und eine systematische Verknüpfung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischem Handeln erlernen.

Am Standort Freiburg seien viele dieser Punkte auch dank der gemeinsam von Universität und Pädagogischer Hochschule betriebenen School of Education FACE bereits erfolgreich umgesetzt worden. Zwar sieht Matthias Nückles noch Potenzial bei der Zusammenarbeit von Hochschulen und Seminaren für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte sowie der Behandlung von schulrelevanten Themen in den Fachwissenschaften.

Umsetzung am Standort Freiburg bereits weit vorangeschritten

Insbesondere die Abstimmung der Ausbildungsinhalte innerhalb der und zwischen den Wissensbereichen sowie zwischen universitärer Lehre und Praxisphasen seien aber bereits deutlich optimiert. Auch die Ausrichtung der bildungswissenschaftlichen Curricula auf die Anforderungen des Lehrer*innenberufs sei weitgehend umgesetzt. Und auch die Vermittlung des aktuellen Stands der Forschung sei in den Fachwissenschaften und der Bildungswissenschaft sowie weiten Teilen der Fachdidaktiken bereits Realität.

Um eine weitere substantielle Verbesserung zu erreichen, beispielsweise durch systematisches Training in Kleingruppen, fehle es derzeit vor allem an der finanziellen Ausstattung. Im internationalen Vergleich sei die Lehrer*innenbildung in Deutschland unterfinanziert, was durchaus auch am gesellschaftlichen Ansehen des Lehrer*innenberufs liege, der in anderen Ländern einen ganz anderen Stellenwert habe.

Ziel einer zukunftsfähigen Ausgestaltung der Lehrer*innenbildung sollte es daher auch sein, das Ansehen des Berufsbilds Lehrer*in zu stärken. Denn wenn dieses steige, verbessere sich auch die Situation der lehrerbildenden Einrichtungen an den Universitäten. Bis zur Universitätsschule als Analogie zum Universitätskrankenhaus möge es noch ein weiter Weg sein – erste Versuche in Bayern und Sachsen zeigten allerdings, dass eine Weiterentwicklung der Lehrer*innenbildung bei entsprechendem Rückhalt in Gesellschaft und Forschung durchaus möglich sei

Zur Person

Prof. Dr. Matthias Nückles ist Professor am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Freiburg und leitet dort die Abteilung Empirische Unterrichts- und Schulforschung. Zudem ist der Dekan der Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät und war von Oktober 2018 bis September 2021 Mitglied des Direktoriums der School of Education FACE. In seiner Forschung untersucht er unter anderem, wie Lehrkräfte selbstgesteuertes Lernen bestmöglich unterstützen können und was erfolgreichen Unterricht ausmacht.