FACE it: Gestrandet in Österreich – Wie das Virus meinen (Studien-)Alltag bestimmt

FACE it – Lehramtsstudierende bloggen über ihr Studium in Freiburg

Als Deutschland zur Eindämmung der Corona-Pandemie die Grenzen zu den Nachbarländern schließt, ist Karima Zauner, Studentin im Master of Education an der Universität Freiburg, gerade in Österreich bei ihrer Familie. Das Ausmaß der Situation wird ihr nur langsam bewusst: “Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich nicht reisen wohin ich will. Kann hier also nicht weg, selbst wenn ich es wollte. Dieser Gedanke schlägt in meinem Kopf in wallende Panik um. Ich fühle mich eingeschlossen, beinahe gelähmt.” Auch wenn sie sich glücklich schätzt, nicht auf Reisen in einem fernen Land gestrandet zu sein, fehlt ihr doch die “gewohnte  Alltagsroutine” an ihrem Studien- und Wohnort, die “physische Nähe und ein Sozialleben, das als selbstverständlich galt”.

Es ist ein ganz normaler Montag im Februar: Tausende Studierende und Mitarbeiter*innen der Freiburger Hochschulen strömen in verschiedene Gebäude und bereiten sich auf das bevorstehende Semester vor. Nach einer erholsamen Sommerpause sieht man Kommiliton*innen wieder. Man trifft sich zum Kaffee und diskutiert, zu viert auf eine Bank gequetscht, über das Studium, Gott und die Welt. Zum Abschied Küsschen links, Küsschen rechts, eine Umarmung. Der physische Kontakt ist allgegenwärtig, und wird als etwas grundsätzlich Menschliches, ja gar Notwendiges gesehen.

Einen knappen Monat später. Es ist ein Sonntag im März. Ich verbringe ihn bei meiner Familie in Österreich, wo seit einiger Zeit strenge Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus gelten. Keine Umarmungen, kein Küsschen links, Küsschen rechts. Das öffentliche Leben hierzulande scheint zum Stillstand gekommen zu sein. Die Straßen sind weitgehend menschenleer, die wenigen Menschen die durch die Straßen huschen, scheinen es furchtbar eilig zu haben. Menschen sehen sich nicht an, wenn sie einander zufällig auf der Straße begegnen. Es liegt Angst in der Luft. Angst vor etwas, das man nicht sehen kann, das aber Medienberichten zufolge doch höchst gefährlich scheint.

Durch die Medienbrille blicke ich nach Freiburg, wo das Leben vorerst weiterläuft. Ein Freund schickt mir einen Artikel der Bild-Zeitung. „Deutschland schließt die Grenzen!“ schreit mir der Titel ins Gesicht. Ich halte das für überzogen, schließlich bin ich nicht in Deutschland vor Ort und kann die Situation nur durch die Medienbrille beurteilen. Einige Stunden später bekomme ich ein Update auf mein Handy: Es ist wahr. Deutschland macht tatsächlich die Grenzen dicht.

Ich starre auf den Bildschirm meines Handys. Mittlerweile ist es draußen kalt und dunkel. Langsam wird mir das Ausmaß der Situation bewusst: Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich nicht reisen wohin ich will. Kann hier also nicht weg, selbst wenn ich es wollte. Dieser Gedanke schlägt in meinem Kopf in wallende Panik über. Ich fühle mich eingeschlossen, beinahe gelähmt. Bei genauerer Betrachtung kann ich mich jedoch glücklich schätzen, nicht wie manche meiner Kommiliton*innen und Freunde in Mexiko oder Indien gestrandet zu sein. Hierzulande halten viele die Maßnahmen zur Ausbreitung des Virus für überzogen, bei anderen greift Panik um sich: Wer hätte gedacht, dass zwei Monate ohne Zugang zu Fast Food und Billigkleidung so hart sein könnten.

Persönlich vermisse ich während dieser Zeit meine gewohnte Alltagsroutine. Physische Nähe und ein Sozialleben, das als selbstverständlich galt, werden plötzlich zur Utopie. Doch während schlagartig der soziale Lärm um einen verstummt, beginnt man, stillere Aspekte des Lebens wahrzunehmen. Eher ruhige Leute in meinem Freundeskreis melden mir, wie gut es ihnen plötzlich gehe – sie fühlen sich befreit von der Last, ständig soziale Kontake aufrechterhalten zu müssen. Es wird still – und plötzlich bleibt mehr Zeit für das Wesentliche: Wo physische Nähe fehlt, werden soziale Kontakte auf einmal enger. Man nimmt Kontakt mit beinahe vergessenen Freunden und Verwandten auf, unterhält sich über Gott und die Welt und fragt nach der Gesundheit.

Auf einmal bleibt nun auch mehr Zeit, beinahe zu viel Zeit. Langeweile greift um sich. Die ersten zwei Wochen versinke ich förmlich in meinem Zuhause. Und auch für meine Freunde scheint sich die fehlende Routine schnell bemerkbar zu machen. Doch während manche im Chaos versinken, werden andere undenkbar kreativ: Literaten lesen von ihrem Wohnzimmer aus, ganze Chöre finden sich online zum gemeinsamen Musizieren zusammen. Und auch Studierende und Lehrende der Freiburger Hochschulen werden kreativ: Dozierende halten Vorlesungen per Livestream, Studierende nehmen an Seminaren über Zoom teil, Systemadministrator*innen arbeiten Tag und Nacht daran, die Infrastruktur am Laufen zu halten.

Mittlerweile ist es Mitte Mai, ich sitze immer noch in Österreich, inzwischen gespannt auf den Bildschirm starrend. Denn der erste Livestream der Uni Freiburg zum Thema E-Learning geht gleich los. Ich wähle mich ein und folge den ersten Minuten des Vortrags aufmerksam, doch dann bricht die Infrastruktur plötzlich zusammen. Über 900 Studierende der Uni wollen gleichzeitig am Livestream teilnehmen und knacken die Serverkapazitäten. In Windeseile wird eine Lösung improvisiert und tatsächlich, es funktioniert: Knapp 1000 Studierende der Uni Freiburg nehmen schließlich an dem ersten Livestream teil.

Diese Live-Schaltung beruhigt mich ungemein, es werden viele Fragen zum Thema E-Learning beantwortet. Meine anfängliche Angst, mich in dieser neuen Lernumgebung nicht zurecht zu finden, wird zu Hoffnung. Und mit dem Start des Online-Semesters kehrt langsam eine neue Routine ein. Es braucht sowohl von Seiten der Studierenden als auch von Seiten der Dozierenden nun eine große Menge Flexibilität, dieses außergewöhnliche, herausfordernde Semester erfolgreich zu bestreiten. Und es bleibt spannend, wie wir alle gemeinsam mit diesen Herausforderungen umgehen.

Karima Zauner
3. Fachsemester, Master of Education (Universität)

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FACE it – Lehramtsstudierende bloggen über ihr Studium in Freiburg

Studentische Blogger*innen teilen ihre Meinung zum Lehramtsstudium an der Universität Freiburg und der Pädagogischen Hochschule, für die Sekundarstufe 1 und für das Gymnasium.

Die Blogger*innen verfassen Texte über ihre Eindrücke und Erfahrungen im Lehramtsstudium in Freiburg, die auf der Webseite der School of Education FACE veröffentlicht und über den vierteljährlich erscheinenden Newsletter beworben werden.

Weitere FACE it-Texte der Newsletter-Ausgabe 02/2020 zum Fokusthema “Digital durch die Krise”: