Damaris Stein und Angelika Zeman: Finding a Window to 19th Century New York

Praxiskolleg Ringvorlesung WS 19/20 „Theater und Schule“ am 12.12.2019

Brennende Häuser, mutige Feuerwehrmänner, Rettung in letzter Sekunde – das macht das im 19. Jahrhundert verfasste Melodrama One of the Bravest aus. Umrahmt von Tanz und Musik begeisterten die stereotypisch aufgebauten Charaktere des Melodramas die nordamerikanischen Massen. Diese Ringvorlesung zeigte, wie man durch die Aufarbeitung von bisher unveröffentlichten Manuskripten in die gesellschaftlichen Gepflogenheiten einer anderen Zeit eintauchen kann. Die zwei Referentinnen Damaris Stein und Angelika Zeman nahmen die Zuhörenden mit auf ihre eigene Reise der Textbearbeitung und legten die Schritte ihrer Arbeit anhand vieler Beispiele dar.

Schritt für Schritt voran

[Charles McCarthy’s] One of the bravest : “fighting the foe” (Jay T. Last Collection; Huntington Library Holdings)

Grundlegend ist die Auswahl eines Textes, die anhand persönlicher Präferenzen oder schüler*innenorientiert erfolgen kann. In diesem Fall fiel die Wahl auf das Thema Firefighter Melodramas, eine persönliche Präferenz des damaligen Seminarleiters Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck. Stein und Zeman beschäftigen sich mit One of the Bravest, ein Stück, dass 1883 von Edmund E. Price verfasst wurde. Das Manuskript des Stücks stammt aus der Sherman Theatre Collection in Carbondale. Für den Editierprozess setzten sich Stein und Zeman drei Ziele: für Lesbarkeit sorgen, eine stimmige Handlung erstellen und die Durchführbarkeit des Stücks ermöglichen. Der Prozess begann mit der zeitaufwändigen Transkription der eingescannten Schreibmaschinenabschrift und der Korrektur einer Unmenge von Rechtschreibfehlern. Im nächsten Schritt wurde das Stück auf Herz und Nieren geprüft, indem Lücken im Handlungsablauf aufgedeckt wurden, Auf- und Abgänge der Charaktere angepasst wurden, und das Verwechslungsspiel der vielen Charaktere für den Leser erschlossen wurde. Schlussendlich konnte die Recherche nach ergänzendem Material jenseits des Manuskripts beginnen, aus dem die Referentinnen Schlüsse ziehen konnten, wie das Stück zu seiner Zeit aufgeführt wurde. Dabei fanden die Dozierenden alte Zeitungsartikel, Anzeigen, Plakate und sogar ein Liederbuch zum Stück.

Eine Reise durch die Zeit

Durch das Bearbeiten des Originaltextes gewannen Stein und Zeman Einblick in die Theaterwelt des 19. Jahrhunderts in New York, mit all seinen Weltbildern und kulturellen Praktiken. Im zweiten Teil ihres Vortrags gingen sie auf die Frage ein, welche Rückschlüsse sich auf die New Yorker Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ziehen ließen. Welche gesellschaftlichen Diskurse gab es? Welche Vorurteile und Stereotypen sind im Stück verankert? Und inwiefern spiegelt sich darin der soziale, politische und industrielle Hintergrund der Zeit?

Vorurteile und Stereotypen identifizieren

Die damalige Heldenfigur wurde als starken Mann (und gelegentlich als starke Frau) aus der Unterschicht skizziert. Im Sinne des Anti-Intellektualismus handelt es sich dabei um Helden der Tat und nicht um listige Denker. So entspricht auch One of the Bravest diesem Bild und liefert einen tapferen, ehrlichen, und eher simpel gestrickten Feuerwehrmann als Helden, der moralisch über den anderen Charakteren steht. Der Bösewicht hingegen ist ein Geschäftsmann, der durch kriminelle Machenschaften seine Schuld vertuschen will, und der dabei nicht einmal vor Mord zurückschreckt.
One of the Bravest ist von – aus heutiger Sicht absolut unangemessenen – Witzen über Iren, Chinesen, Franzosen und Schwarzen durchzogen. Der Zusammenprall verschiedener Kulturen in New York scheint auch im 19. Jahrhundert schon Grund für Auseinandersetzung, Animosität und Abgrenzung zur Sicherung der je eigenen Identität gewesen zu sein.

Als Schüler*in selbst aktiv werden

Für den Einsatz in der Schule muss das Thema und die Form eines zu wählenden Originaltextes an die Interessen der Schülerinnen und Schüler und die Rahmenbedingungen von Schulunterricht angepasst werden. Durch das eigene Erarbeiten und Bearbeiten eines Textes können die Schülerinnen und Schüler in die Arbeit von Literaturwissenschaftler*innen oder Lektor*innen Einblicke erhalten. Die Themenwahl und der Umgang mit authentischem Material kann Schülerinnen und Schüler motivieren, und die Arbeit mit unveröffentlichten Texten bietet Schülerinnen und Schülern Lernmöglichkeiten in allen Bereichen des Editionsprozesses.

(Damaris Stein und Angelika Zeman)

 Damaris Stein und Angelika Zeman lernten sich in einem Seminar an der Universität Freiburg kennen. Zeman absolviert seit Januar 2020 ihr Referendariat für Englisch und kath. Religionslehre am Gymnasium, während Stein dieses Wintersemester ihren Master of Education begann. 

Weitere Informationen

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Videomitschnitt

Sehen Sie hier den Vortrag von Damaris Stein und Angelika Zeman im Video:

Direktlink zum Video auf dem Videoportal der Universität Freiburg